Von Mohnsaft bis Viagra
Ein Medikament, das wirkt, ohne unerwünschte Effekte auszulösen, ist der heilige Gral der Medizin. In der Vergangenheit glaubten Wissenschaftler immer wieder, ihn entdeckt zu haben. Die Enttäuschung ließ in der Regel aber nicht lange auf sich warten. Im Zentrum von Thomas Hagers Buch steht dieses Verhältnis zwischen Wirkung und Nebenwirkung, zwischen Begeisterung und Skepsis, zwischen Durchbruch und Rückschlag. Der Wissenschaftsjournalist erzählt die Geschichte von zehn Arzneien, die, wie er schreibt, »die moderne Welt geprägt haben«: vom Mohnsaft über frühe Antibiotika bis hin zu Viagra und Statinen.
Die chronologisch angeordneten Kapitel befassen sich mit jeweils einem Wirkstoff oder einer Arzneimittelgruppe. Wer die im Untertitel des Buchs versprochenen »wichtigsten Wirkstoffe der Welt« erwartet, wird mitunter enttäuscht. Insulin oder Aspirin sucht man beispielsweise vergebens. Stattdessen bekommt das weniger bekannte und kaum noch gebräuchliche Schlafmittel Chloralhydrat, das früher als K.o.-Tropfen missbraucht wurde, einen eigenen Eintrag. Der Titel des amerikanischen Originals trifft den Inhalt daher besser: »Ten Drugs: How Plants, Powders and Pills Have Shaped the History of Medicine«.
»Das Gute gibt es nicht ohne das Schlechte«
Besonderes Augenmerk legt Hager auf Opioide. Ihnen widmet er gleich drei Kapitel: eines dem Opium und seinem Hauptbestandteil Morphin, ein weiteres dem halbsynthetischen Opiat Heroin und das dritte den neueren, synthetischen Drogen wie Fentanyl, die im Zentrum der aktuellen Opioidkrise in seiner Heimat, den USA, stehen. »Das Gute gibt es nicht ohne das Schlechte«, schreibt er – bei den Opioiden mit ihrer außergewöhnlichen Wirksamkeit und ihrem hohen Suchtpotenzial wird dies besonders deutlich.
Im Zentrum steht das Verhältnis zwischen Wirkung und Nebenwirkung, zwischen Begeisterung und Skepsis, zwischen Durchbruch und Rückschlag
Hagers Ausführungen sind unterhaltsam und detailreich; manchmal bekommt man fast das Gefühl, der Autor sei vor Ort gewesen und habe den Pionieren und Pionierinnen über die Schulter geschaut. Hier und da wirken die Geschichten zu Gunsten der schönen Erzählung etwas geglättet. Wer genau hinsieht, entdeckt ein paar Ungenauigkeiten und Fehler. Zum Beispiel schreibt Hager an einer Stelle von »Morphium und weiteren großen Alkaloiden« und nennt dann gleich Opium als Beispiel. Opium ist aber kein Alkaloid, sondern getrockneter Mohnsaft, der verschiedene Alkaloide enthält (darunter auch das genannte Morphium).
Der medizinhistorisch interessierte Laie, an den sich das Buch wendet, wird sich daran aber kaum stören. Einige Passagen lassen allerdings etwas Fingerspitzengefühl vermissen, vor allem dort, wo es um psychische Störungen, Mord und Suizid geht.
Alles in allem bietet Hager jedoch eine spannende Reise durch die Geschichte der Arzneimittel. Seine Stärke liegt auch in der Auswahl der Protagonisten und Protagonistinnen. Denn er beschränkt sich nicht nur auf die bekanntesten Namen, denen wichtige Entdeckungen zugeschrieben werden. Vielmehr macht das Werk deutlich, dass am Beginn einer Erkenntnis oft ein glücklicher Zufall, eine scharfe Beobachtung und eine große Portion Ausdauer stecken.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.