Pädophile sind nicht immer Täter
Ein Mann sitzt im Zug. Als sich eine Frau mit ihrem kleinen Sohn dazusetzt, versucht der Mann den Jungen nicht anzuschauen. Er quält sich sichtlich. "Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist? – Es gibt Hilfe", heißt es am Ende.
Vor einigen Jahren sorgte dieser TV-Spot des Präventionsnetzwerks Kein-Täter-Werden für Aufregung. Das Thema ist verständlicherweise emotional aufgeheizt; bei vielen Menschen stoßen solche Kampagnen auf Unverständnis. In der Öffentlichkeit taucht der Begriff Pädophilie meist nur in Verbindung mit sexuellem Kindesmissbrauch und der Forderung nach härteren Strafen auf. Doch es gibt weit mehr Betroffene, als man gemeinhin denkt. Allein in Deutschland sind schätzungsweise 250.000 Männer pädophil. Auch bei Frauen konnten pädophile Neigungen nachgewiesen werden, was die Autoren leider an keiner Stelle erwähnen.
Nicht jeder wird straffällig
Das heißt jedoch nicht, dass all diese Menschen früher oder später übergriffig werden, sagen Experten wie Claudia Schwarze und Gernot Hahn. Die Leiterin der Psychotherapeutischen Fachambulanz in Nürnberg und der Leiter der Forensischen Ambulanz im Klinikum am Europakanal Erlangen forschen zum Thema Pädophilie und behandeln Sexualstraftäter sowie Menschen, die fürchten, in Zukunft vielleicht einen sexuellen Missbrauch zu begehen. Nicht jeder Pädophile werde straffällig; und umgekehrt seien die meisten Menschen, die ein Kind missbrauchen, nicht pädophil, stellen die beiden gleich zu Anfang klar. Vielmehr handle es sich bei einem Großteil der Täter um Pädosexuelle. Diese hätten sexuellen Kontakt mit Kindern, fühlten sich aber eigentlich zu Erwachsenen hingezogen. Sie seien oft unsicher im Umgang mit Gleichaltrigen, einsam oder frustriert.
Ob heterosexuell, homosexuell oder pädophil – niemand suche sich seine sexuellen Interessen aus, und somit trage auch niemand die Schuld an seiner Vorliebe für Minderjährige. Verantwortung jedoch sehr wohl, mahnen Schwarze und Hahn. Sie zeigen auf, wie Pädophile trotz ihrer Neigung ein zufriedenes Leben führen können, ohne straffällig zu werden. Dafür bedürfe es aber lebenslanger Disziplin. Betroffene könnten mit Hilfe von Atemübungen und Strategien zur Aufmerksamkeitslenkung eine bessere Selbstkontrolle erlernen und soziale Fertigkeiten trainieren. Außerdem raten die Autoren, enge Vertraute einzuweihen, damit diese die Betroffenen im Beisein von Kindern nicht allein lassen. Auch über psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungen sowie Anlaufstellen für Pädophile informiert der Band.
Der gelungene und fundierte Ratgeber macht Menschen mit pädophilen Neigungen Mut, sich Hilfe zu suchen, und erläutert ihnen ebenso wie Psychologen und Sozialarbeitern, wie eine solche Hilfe aussehen kann. Immer wieder lassen die Autoren Betroffene selbst zu Wort kommen. Um diese nicht gesellschaftlich zu isolieren, sei es wichtig, bei ihnen Ängste und Scham abzubauen. Das wiederum mache Präventionsarbeit überhaupt erst möglich.
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