Krisengespräch am Expertenstammtisch
Man stelle sich eine Runde erfahrener Psychotherapeuten vor, die nach Feierabend um einen Kneipentisch sitzen und über die Herausforderungen ihres Berufs fachsimpeln. Jeder tut das aus seiner Perspektive: der Bindungsexperte, der Trauerexperte, der Ressourcenexperte, der Suchtexperte. Das könnte ein spannender Abend werden!
Dieses Szenario wird in der Interviewsammlung »Herausforderungen der Psychotherapie« immerhin etwas spürbar. 19 Therapeuten und 4 Therapeutinnen beantworten darin Fragen zu kritischen Situationen ihres Berufsalltags, zu Schwierigkeiten bei der Behandlung bestimmter psychischer Störungen oder zu allgemeinen Entwicklungen der Psychotherapie.
Darf ein Therapeut politisch sein? Wann ist der beste Zeitpunkt, einen Patienten zu konfrontieren? Provoziert Psychotherapie Trennungen? Wie spricht man unverkrampft über Scham und Sexualität? Und wann hilft nur die Polizei?
Reflexion führt zu mehr Kompetenz
Die Therapeuten, die dabei zu Wort kommen, haben sich als Experten ihres Fachbereichs einen Namen gemacht. Die persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen, die sie im Interview teilen, lassen ihr wissenschaftliches Knowhow lebendig werden. Profitieren sollen davon offensichtlich vor allem Leser, die selbst psychotherapeutisch arbeiten. Und das nicht nur deshalb, weil im Gespräch hier und da auch konkrete Ratschläge fallen. Sondern, so der Herausgeber Uwe Britten, weil »die erste Reflexion eines persönlich vielleicht noch neuen Themas schon zu mehr Kompetenz führt«.
Gekürzt sind die Interviews zwischen 2015 und 2019 bereits im »Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten« erschienen. Und gerade das ist vermutlich der Stolperstein des Sammelbands: Die Beiträge werden dem gemeinsamen Überthema »Herausforderungen« zugeordnet und in Kapiteln thematisch gebündelt. Ein roter Faden fehlt jedoch. Zudem bleibt es auf je knapp vier Seiten Interview zwangsläufig beim Anteasern großer Themen, die interessierte Leser an anderer Stelle vertiefen müssen. Ein Buch also, das sich eher dazu eignet, einzelne Interviews herauszupicken und sich daraus Impulse zu holen.
Nach 153 Seiten hat man eine gute Idee davon, wer zu welchem therapeutischen Aspekt etwas zu sagen (und publiziert) hat. Auch wenn die Wahl von Themen und Experten dabei ziemlich willkürlich ist und ein echter Diskurs zwischen den Stammtischgästen leider ausbleibt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.