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Die Faszination des Nacktseins

Ohne Kleidung ist es einfacher, sich selbst und andere Menschen anzunehmen, wie sie sind. Überhaupt macht nackt vieles mehr Freude, findet der Journalist Marc Engelhardt.

»Eine Reise zu den unverhüllten Kulturen unserer Welt«, das verspricht der Untertitel des Werks »Ich bin dann mal nackt« des Journalisten Marc Engelhardt. Wer genau das in dem Buch erfahren möchte, sollte es gar nicht erst aufklappen, denn der Verlag führt damit ebenso in die Irre wie mit diesem Klappentextsatz: »In bester Reportertradition begibt er sich auf eine Reise um die Welt – natürlich unbekleidet.« Doch macht man sich frei von diesen Erwartungen, findet sich im Buch ein gut erzählter Selbsterfahrungstrip in die Welt der Nacktheit.

Wenig Aha-Momente

Schaut man ins Inhaltsverzeichnis, wird die Erwartung, Einblicke in viele Kulturen zu erhalten, zunächst durch zahlreiche Ländernamen bestärkt. Im Detail folgt dann die Enttäuschung: FKK als Befreiung in der DDR, westdeutsche FKK-Vereine, die mit der eigenen Modernisierung zu kämpfen haben, eine Nacktführung im Museum, eine hüllenlose Kreuzfahrt sowie unbekleidetes Yoga auf dem Dachboden und Nacktwandern in Wipperfürth – das alles hat nichts mit fremden Kulturen zu tun und bietet wenig Aha-Momente. Ähnliches gilt fürs Saunieren in Finnland, den Hamambesuch in Marokko oder das französische Nudistenparadies Cap d'Agde: Von diesen Orten der Nacktheit dürften viele Menschen bereits ohne Lektüre des Buchs eine recht treffende Vorstellung haben. Auch die Geschichte der Femen dürfte so manchen Lesenden geläufig sein, vielleicht im Gegensatz zum japanischen Brauch des Hadaka Matsuri – einem Nacktfest, das aber gar nicht nackt begangen wird.

Um Engelhardt nicht Unrecht zu tun: Man erfährt im Buch durchaus das ein oder andere über fremde Kulturen, beispielsweise dass der Hamam für Frauen im Islam ein Ort der Freiheit ist und ebenso wie die japanischen Sentōs ein sozialer Treffpunkt; dass Frauen bei den Digambara erst in einen Mann reinkarnieren müssen, bevor sie am Nacktyoga teilnehmen dürfen, weil sie sonst die Männer ablenken; dass Nacktwandern in der Schweiz unter Strafe steht; dass in Finnland auf drei Menschen eine Sauna kommt und Norwegern Nacktsein peinlich sei – jedenfalls einer Finnin zufolge. Vereinzelt berichtet der Autor dabei auch aus Studien. Doch üppig fallen diese Abschnitte leider nicht aus.

Trotz dieser Kritik ist das Buch nicht uninteressant. Immerhin bieten die Selbsterfahrungen des Autors auch zu bekannten Themen tiefe Einblicke und die Beobachtungen des geschulten Auges eines Journalisten. Hinzu kommen die Gespräche mit vielen anderen Menschen, die in ihrer Freizeit gern unbekleidet sind. Eine Beobachtung kehrt dabei immer wieder: Wer häufig unter Nackten ist, hat ein realistischeres Bild vom menschlichen Körper und geht mit seinem eigenen selbstsicherer um. Überhaupt erlebt Engelhardt auf seiner Reise unter Nackten sehr viel positive Lebenseinstellungen und Fröhlichkeit. So beschreibt er die Teilnehmenden der Nacktkreuzfahrt als »außerordentlich gut gelaunt, mit sich im Reinen, ob adipös oder asketisch, braungebrannt oder blass, gestählt oder schwabbelig«. Ob das bei Teilnehmenden bekleideter Kreuzfahrten allerdings anders ist, bleibt offen. Dennoch beobachtet auch der kanadische Gaststudent beim Internationalen Nudistenlauf an der Ostsee: »Der Deutsche ist gestresst, until he is undressed.«

Ob die tolerante Haltung gegenüber fremden Körpern eine Folge der unbekleideten Erfahrungen ist oder ob Menschen mit dieser Haltung einfach eher an nackten Aktivitäten teilnehmen, lässt das Buch offen. Ebenso ungeklärt bleibt, welchen Anteil an der Motivation, die Hüllen fallen zu lassen, exhibitionistische Motive oder andere psychische Faktoren haben. Weitgehend vermeidet der Autor es auf seiner Reise zudem, Nacktheit und Sexualität in Verbindung zu bringen. Einen Swingerstrand in Frankreich verlässt er schnell und unangenehm berührt wieder. In der Karibik ist ihm das nicht passiert, denn dort – eine kulturelle Information! – gebe es nicht einmal legale Nacktbadestrände.

Insgesamt zeichnet sich das Werk durch mal mehr, mal weniger überraschende Einblicke darüber aus, wie es ist, gewohnte Dinge auch mal nackt zu erleben. Wen solche Erfahrungen reizen, der findet im Buch Inspiration und Ermutigung. Allen anderen bleibt vor allem die Erkenntnis, dass die heute weit verbreitete Prüderie in den meisten Nationen auf die spätmittelalterliche Kirche und den britischen Imperialismus zurückzugehen scheint – und eine Abkehr davon den meisten Menschen wissenschaftlich belegt guttut.

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