»Improvisieren«: Chance statt Notlösung
Was haben Kunst, Musik, Medizin, Politik, Management und Fußball gemeinsam? Die Antwort: Improvisation. Georg W. Bertram, der an der Freien Universität Berlin die Professur für theoretische Philosophie innehat, schloss sich mit dem Musikjournalisten Michael Rüsenberg, der sich vorrangig mit Jazz beschäftigt, zusammen, um in einem Buch einen neuen Blick auf eine der grundlegenden Fähigkeiten des Menschen zu werfen.
Das Ziel des Essays: das schlechte Image des Improvisierens aufzupolieren. Den Autoren zufolge wird die Fähigkeit eher als Produkt schlechter Vorbereitung oder mangelnden Wissens gesehen. Wie wenig diese Einschätzung zutrifft, zeigen die beiden mit einer Fülle von Beispielen, etwa an dem einer geübten Köchin, die eine komplizierte Speise zubereitet und plötzlich merkt, dass ihr eine Zutat fehlt. Sie improvisiert also mit den Zutaten, die ihr zur Verfügung stehen. Und es gelingt ihr auf Grund ihrer Erfahrung dennoch, eine schmackhafte Speise zuzubereiten. Das Ergebnis eines weniger erfahrenen Kochs wäre dagegen vermutlich enttäuschend. Bertram und Rüsenberg betonen: Produktive Improvisation geschieht, wenn Vorbereitung, Training, Erfahrung oder Wissen auf Unvorhergesehenes oder Ungewisses stoßen. Hierbei werden neue Regeln oder Rahmen geschaffen, die Folge oder das Produkt ist nicht selten innovativ.
Ein neuer Weg zum Ziel
Improvisieren ist kein kopfloses Stolpern in eine unbestimmte Richtung. Stattdessen ist es laut den Autoren eine Art kontrollierter Kontrollverlust, der keine Notlösung ist, sondern eine Chance, neue Wege zu einem gesetzten Ziel zu finden.
Das Buch verdeutlicht in verständlicher Sprache die Chancen der Improvisation in ganz unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Lebens. Ob das Improvisieren heute wirklich so ungern gesehen wird wie im Buch behauptet, ist aber fraglich. Schon längst wird die Fähigkeit, in unvorhergesehenen Situationen schnell und innovativ zu reagieren, als wünschenswert wahrgenommen, besonders in wirtschaftlichen Kontexten wie im Management. Zudem stören die zahlreichen Zitate bedeutsamer Persönlichkeiten, die oft keinen tieferen Sinn zu haben scheinen.
Trotzdem zeigt die Lektüre, wie wichtig die Kunst des Improvisierens in verschiedenen, mitunter unerwarteten Bereichen ist. Hätten Sie zum Beispiel gedacht, dass die Fähigkeit ein integraler Bestandteil der chirurgischen Praxis ist? Es bleibt zu hoffen, dass sie den schlechten Ruf, den sie oft noch innehat, durch solche Beiträge verliert.
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