»Johann Gabriel Doppelmayr (1677–1750)«: Nürnberg und die Astronomie im 18. Jahrhundert
Unter dem Namen »Doppelmayr« kennt das World Wide Web zunächst nur den weltweit agierenden Hersteller von Seilbahnen aus Österreich. Erst durch hartnäckiges Googeln unter Verwendung astronomisch relevanter Begriffe erfährt man Näheres über den aus Nürnberg stammenden Mathematiker, Physiker und Astronomen Johann Gabriel Doppelmayr. Also doch ein »Hidden Champion«, wie es in den einleitenden Worten zu der zweibändigen Monografie heißt, die der fränkische Astronomiehistoriker Hans Gaab über diesen Gelehrten der Barockzeit in einem bemerkenswerten Umfang verfasst hat? Und findet sich Doppelmayr in der Metropolregion Nürnberg nicht in guter Gesellschaft unter anderen – fast vergessenen – Hidden Champions der Astronomiegeschichte wie etwa Johannes Müller, bekannt als »Regiomontanus«, oder Simon Marius?
Dieser Art von Vergessenheit wirkt Hans Gaab nun auf den annähernd 1200 Seiten seines Werks mit viel Liebe zu den Details entgegen. Er hat dabei ein inhaltsschweres, aber auch physisch gewichtiges Kompendium geschaffen, das nicht nur die Person Doppelmayr bis in alle Einzelheiten ausleuchtet, sondern auch ein in die Tiefe gehendes Bild von dem damals im Nürnberger Raum herrschenden soziokulturellen Umfeld zeichnet. Die Intensität der Recherche, die der Autor geleistet hat, indem er Hunderte oder wohl eher Tausende von entsprechenden Quellen akribisch auswertete und dazu diverse Archive unter anderem bis ins russische Sankt Petersburg oder Moskau kontaktierte, verdient Beachtung und uneingeschränkten Respekt.
Das in zwei Teilbänden erschienene Buch widmet sich in Band 1 – beginnend mit Doppelmayrs Familiengeschichte – seiner eigentlichen Biografie. Von der Schul- und Studienzeit in Nürnberg, Altdorf und Halle spannt sich der Bogen über verschiedene Auslandsaufenthalte in Utrecht und Leiden sowie in England bis zum Beginn seiner beruflichen Laufbahn, der etwa mit Doppelmayrs Bestallung als Professor für Mathematik am Nürnberger Egidiengymnasium im Jahr 1704 anzusetzen ist. Weitere berufliche Aktivitäten, die in Band 1 thematisiert werden, betreffen Doppelmayrs Leitungsfunktion an der Nürnberger Sternwarte, seine Tätigkeit in der experimentellen Physik, seine Mitgliedschaft bei wissenschaftlichen Akademien in Halle, Berlin, London und Sankt Petersburg sowie nicht zuletzt seine Begabung als Wissenschaftskommunikator, die er in einem umfangreichen Korrespondentennetzwerk auslebte, zu dem auch so bekannte Persönlichkeiten wie Celsius, Delisle oder Manfredi zählten.
Himmelsatlas, Globen – und eine »Historische Nachricht«
Der zweite Teilband ist Doppelmayrs eigenen Werken vorbehalten. Allgemein am bekanntesten ist dabei wohl sein 1742 erschienener Himmelsatlas, der sogar als moderner Reprint zu haben ist. Dem Himmelsatlas werden im Buch immerhin 226 Seiten eingeräumt, auf denen seine Entstehungsgeschichte in aller Ausführlichkeit und mit vielen Abbildungen garniert beschrieben wird. Leider werden die (sehr wenigen) Farbabbildungen in ihrer Qualität der Opulenz des Werks nicht gerecht. In wissenschaftlicher Hinsicht bedeutender ist zweifellos die »Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern« aus dem Jahr 1730, die auch heute noch eine wichtige Quelle zu bedeutenden Persönlichkeiten dieser Region darstellt. Weitere 113 Seiten sind den Globen von Doppelmayr und seinem Konkurrenten Andreae gewidmet. Doppelmayrs Erd- und Himmelsgloben waren im 18. Jahrhundert populär und weit verbreitet, so dass auch heute noch mehr als 200 Exemplare weltweit existieren dürften.
Schließlich enthält der Band 2 auch noch Abschnitte über Doppelmayrs gedruckte Werke; das sind beispielsweise Übersetzungen aus dem Englischen, Abhandlungen zur Instrumentenkunde oder über Sonnenuhren sowie Werke über Mathematik und Geografie. Den Abschluss bilden eine umfangreiche Bibliografie, eine Zusammenstellung von Archivalien, ein 53-seitiges Literaturverzeichnis und ein Personenregister. Dies findet sich leider nur in Band 2, während andererseits ein Inhaltsverzeichnis nur in Band 1 enthalten ist, was die Handhabung etwas erschwert.
Ich muss gestehen, dass ich nicht alle 1185 Seiten des Buchs gelesen habe, was wohl auch nicht der Intention des Autors entsprechen dürfte. Greifen wir beispielsweise das Kapitel »Schule und Studium« heraus, das mit der Einschulung des 13-jährigen Knaben Doppelmayr am Egidiengymnasium beginnt. Ausführlich wird hier der Leser mit den Biografien seiner Lehrer konfrontiert. So erfahren wir etwa über Doppelmayrs Lehrer Samuel Faber neben einer ins Detail gehenden Würdigung auch, wie dessen Eltern hießen, wann sie die Ehe schlossen, wie ihre Kinder – also Samuels Geschwister – hießen, wann sie geboren wurden und derlei mehr. Eine solche Überfrachtung mit eigentlich nebensächlichen Informationen schadet der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit des Textes. Man verliert als Leser leicht den roten Faden, da Wichtiges und Unwichtiges in der Darstellung oft die gleiche Gewichtung erfahren. Auch wenn einem die erstaunliche Detailkenntnis des Autors und seine gründliche Recherche großen Respekt abverlangen, so stören doch die vielen Fußnoten den Lesefluss, von denen ich allein in Band 1 deren 2535 gezählt habe. Um Doppelmayrs Aktivitäten besser einordnen zu können, hätte ich mir außerdem eine Zeittafel gewünscht, die seine einzelnen Lebensstationen wenigstens stichpunktartig in ihrer zeitlichen Abfolge zusammenfasst.
Trotz solcher Einwände sei gesagt, dass Gaabs Werk eine unerschöpfliche Fundgrube darstellt, wenn man sich für die Astronomie oder allgemein für die Wissenschaftsgeschichte im fränkischen Raum zur Zeit der Aufklärung interessiert. Wo sonst findet man eine derart ausführliche Beschreibung von Nürnbergs erster Sternwarte auf der Vestnertor-Bastei, die Georg Christoph Eimmart gegründet hatte und der Doppelmayr ganze vierzig Jahre lang vorstand (auch wenn er kein guter Beobachter war)? Und wo sonst begegnen einem so bedeutende, häufig fränkische Mitglieder der Wissenschaftscommunity mit persönlichen Zitaten? Viele solcher exakt wiedergegebenen Zitate wie auch mehr als 400 (meist schwarz-weiße) Abbildungen lockern den Text in angenehmer Weise auf.
Da Leben und Werk von Johann Gabriel Doppelmayr bisher noch keine derart umfangreiche Würdigung erfahren haben, schließt das Buch von Hans Gaab sicher eine Lücke in der zur Astronomiegeschichte verfügbaren Literatur, auch wenn es eine eher spezielle Leserschaft ansprechen dürfte.
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