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Zwischen Faszination und Angst

Die Furcht vor KIs und die Bewunderung derselben stehen im Zentrum dieses Romans.

Künstliche Intelligenz (K.I.) fasziniert und erschreckt gleichermaßen. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, viele aktuelle gesellschaftliche Probleme zu lösen und unsere Lebensumstände zu verbessern. Gleichzeitig lässt sie Bedrohungsszenarien aufscheinen: vom Verlust zahlreicher Arbeitsplätze bis hin zum Entstehen von Superintelligenzen, die ein Bewusstsein entwickeln, die Kontrolle über uns übernehmen und uns eines Tages sogar auslöschen könnten.

Mit diesen Szenarien spielt gekonnt der Roman von Christian J. Meier »K. I. Wer das Schicksal programmiert«. Der promovierte Physiker, freie Journalist und Autor schreibt über Forschung, Technik und Digitalisierung. Er hat verschiedene Sachbücher verfasst, etwa »Eine kurze Geschichte des Quantencomputers« (2015) und »Suppenintelligenz« (2017); mehrere Kurzgeschichten vom ihm sind in der Computerzeitschrift »c’t« erschienen.

Zweigeteilter Globus

»K.I.« spielt in einer absehbaren Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2031; die »Big Four« (Apple, Google, Facebook und Amazon) sind passé. Die Welt ist in zwei Cloud-Netzwerke aufgeteilt, die ihr jeweiliges Gebiet dominieren. Im freien Westen bietet »Gaia«, eine Ausgründung aus dem MIT in Boston, allen ein Leben voller Annehmlichkeiten. Gaias künstliche Intelligenz »Gutleben« und deren avatarähnliche Erscheinungsform »Rhea« stehen jederzeit allen zur Seite und erfüllen Wünsche, noch bevor sie den Menschen bewusst geworden sind. Ihr Prinzip ist das »Nudging« (Anstupsen), für dessen Erforschung der Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler 2017 den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten hat. Im Osten beherrscht dagegen »Der Weg« die »komplette neue Seidenstraße« von Ghana bis nach China. »Der Weg« gewährleistet die totale Steuerung der Menschen über ein Punktesystem für angepasstes Verhalten – in China bereits heute Alltag.

Zwischen beiden Clouds besteht ein Gleichgewicht: Sie machen sich ihre Domänen nicht streitig und kommen sich nicht in die Quere. Dieses Gleichgewicht jedoch droht eine neue K.I. des deutschen Wissenschaftlers und Programmierers Patrick Reinert zu kippen. Gedacht als Verbesserung von »Gaia«, hat er den Übergang von der »prädikativen Programmierung« zur »Beherrschung von Komplexität« geschafft. Seine K.I. namens Laplace ist nach dem französischen Mathematiker benannt, der im 18. Jahrhundert die Wahrscheinlichkeitsrechnung begründete und unter anderem mit dem »Laplace-Dämon« Berühmtheit erlangte. Dieser Gedanke eines vollkommenen Determinismus sorgt bis heute für erbitterte Debatten unter Philosophen, ob es Willensfreiheit wirklich gebe. Die K.I. »Laplace« wurde in dem Roman darauf hinprogrammiert, unerwartete und unwahrscheinliche, aber folgenreiche Ereignisse vorherzusehen, so genannte Black Swans. Der Börsencrash von 2007 war ein solches Ereignis.

Am Anfang der Geschichte steht der Tod eines Hirntumorpatienten in einer Frankfurter Klinik, der eigentlich eine gute Prognose hatte. Starb er zufällig oder absichtlich herbeigeführt? Die behandelnde Ärztin Jette Blomberg vermutet einen Fehler von »Gutleben« in der Medikation. »Laplace« soll nun helfen, den Grund des Ablebens zu ermitteln. Sie findet ihn in Daten, die Blomberg aus dem Krankenhaus entwendet, und stößt dabei auf eine Fülle ähnlicher Todesfälle.

Auch in der Domäne des Netzwerks »Der Weg« kommt es zu rätselhaften Todesfällen. Es erweist sich, dass dafür ein Programmierer namens Lu Meng verantwortlich ist, dessen Familie wegen schlechter Punktewertung kollektiv Suizid begangen hat. Meng hatte auch den »Weg« programmiert, manipuliert die K.I. nun einerseits aus Rache, andererseits um aus China zu fliehen, und verursacht Chaos in der östlichen Welt. Beide Clouds geraten miteinander in Konflikt. Um die Herrschaft über digitale Löcher in den Schutzmauern entbrennt ein weltweiter Konflikt; es droht der Zusammenbruch der Systeme.

Die Protagonisten Blomberg, Reinert und Meng verstricken sich in diese globalen Verwicklungen, versuchen den Zusammenbruch zu verhindern und »Laplace« in »Gaia« zu integrieren. Das Ganze kumuliert in einem kämpferischen Showdown in Boston.

Der Roman hat alles, was man sich von einem guten Thriller wünscht: Er ist intelligent und spannend geschrieben, visionär, integriert eine Liebesgeschichte und besitzt auch eine gute Prise Humor. Sein Thema ist hochaktuell, und seine gelungenen Dialoge handeln von gegenwärtigen »heißen Eisen«: Hirnforschung, individualisierte Medizin, Informatik und Digitalisierung, Vorhersehbarkeit und Zufall, digitale Assistenten. Auch die Umweltdebatte wird in dem Roman gestreift. Im Zentrum steht aber die Frage, ob Bewusstsein programmierbar ist und welchen Stellenwert menschliche Freiheit (noch) hat.

»K.I.« legt den Finger in laufende wissenschaftliche Debatten. Dass seine Machart der eines Drehbuchs gleicht, könnte beabsichtigt sein: Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Stoff irgendwann verfilmt wird. Lediglich der Epilog enttäuscht. Hier hätte man sich einen intelligenteren Schluss vom Autor gewünscht.

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