Gut, dass wir darüber geredet haben
Der Berliner Journalist Matthias Eckoldt hat ein Faible für die Neurowissenschaften. Nach seinem Überraschungserfolg "Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?" (2013) und dem Nachfolger "Eine kurze Geschichte von Gehirn und Geist" (2016) begibt er sich in seinem neuen Buch auf die Fährte dessen, was allgemein als das vornehmste Produkt unserer grauen Zellen gilt: Bewusstsein.
Wie der etwas geschraubte Titel andeutet, geht es hier um Betrachtungen auf "höherer Ebene". Denn wir sind uns, wenn überhaupt, ja eher eines bestimmen Sachverhalts oder eines äußeren Reizes bewusst – dass unser Bewusstsein sich selbst zum Inhalt hat, ist hingegen weit seltener der Fall. Aber gerade diese Form des Meta-Bewusstseins umkreisen die Gespräche, die Eckoldt mit 12 Experten unterschiedlicher Disziplinen führte. Dabei geht es freilich nicht um das Ob, sondern das Wie und Warum unserer Gabe zur Selbstreflexion.
Stärken und Schwächen von Interviews
Zu Wort kommen neben bekannten Hirnforschern wie Christof Koch und John-Dylan Haynes, den Philosophen Philipp Hübl, Markus Gabriel und Michael Pauen auch der Soziologe Dirk Baecker, die Lebensberaterin Natalie Knapp oder der buddhistische Zen-Mönch Muhō (alias Olaf Nölke). Den Schlussakzent setzt der Psychologe Harald Walach. Alle Interviews beginnen mit der Frage, wann Bewusstsein für den jeweiligen Gesprächspartner interessant geworden sei. Im Vordergrund steht also der persönliche Zugang. Das gesprochene Wort ist ohnehin wenig geeignet, um komplexe Argumente oder Theorien auszubreiten. Versucht es einer der Interviewten doch einmal – wie etwa Dirk Baecker mit seiner Deutung des Kantschen Vernunftbegriffs – so stiftet das eher Verwirrung.
Zwar kommen viele Grundprobleme der Bewusstseinsforschung wie die Trennung von phänomenalem und intentionalem Aspekt oder die zwischen der objektiven Dritte-Person-Perspektive der Wissenschaft und dem subjektiven Erste-Person-Erleben in Variationen immer wieder zur Sprache. Ein klarer Fokus, ein definiertes Problem, das es zu diskutieren gelte, ist dennoch kaum erkennbar. Insofern war es eine gute Idee, die Texte mit eng gesteckten Zwischentiteln zu versehen, die dem Leser inhaltliche Orientierung bieten.
Keine Deutungshoheit in Sachen Bewusstsein
Trotz dieser Unschärfe sind die Beiträge spannend und mit Gewinn zu lesen. Die Stärke der Interviews liegt eben in den persönlichen, oft kommentarigen Schlaglichtern einiger der wichtigsten Protagonisten der (deutschsprachigen) Bewusstseinsszene. Wenn zum Beispiel Michael Pauens Apologie der empirischen Erklärbarkeit subjektiver Zustände auf Harald Walachs skeptisch abwinkendes "die Neurowissenschaften werden überschätzt" stößt, dann sieht man, wie weit die Ansichten auf diesem Gebiet auseinandergehen.
Eins macht dieses Buch sehr anschaulich deutlich: Kein Vertreter einer einzelnen Fachdisziplin besitzt die Deutungshoheit in Sachen Bewusstsein. Eckoldts Gespräche spiegeln die ganze Bandbreite der Zugänge zur titelgebenden Frage wider. Wann, wie und warum sich unser Bewusstsein (potenziell) seiner selbst bewusst wird, beantworten Hirnforscher und Philosophen, Mediziner und Psychologen, Meditationspraktiker und Gesellschaftstheoretiker eben auf ganz verschiedene Weise. So bleibt das "Ignorabimus"- Postulat des Neurophysiologen Emil du Bois-Reymond (1818-1896) auch bald 150 Jahren nach seiner ersten Formulierung bestehen: Was Bewusstsein "wirklich" ist, werden wir wohl nie gänzlich verstehen.
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