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»Kirmes im Kopf«: ADHS ist keine Kinderkrankheit

Eine Journalistin und Influencerin mit ADHS erzählt, wie man mit dieser Diagnose lebt. Eine Rezension
Trommler auf einer Karnevalsfeier

Noch immer gibt es Menschen, die die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) für eine Erfindung der Pharmaindustrie halten. Ein anderer Mythos erklärt ADHS zu einer Kinderkrankheit, die sich spätestens mit der Pubertät auswächst. Doch wer regelmäßig Kontakt mit Betroffenen hat, weiß, dass ADHS real ist. Wie weit reichend die Diagnose die Lebenswelt beeinflusst, erschließt sich hingegen selbst nahen Angehörigen oft nicht. In ihrem Buch »Kirmes im Kopf« sorgt Angelina Boerger für Abhilfe, indem sie die Leserinnen und Leser auf eine Reise in ihr eigenes Leben mitnimmt.

Boerger arbeitet als freie Journalistin unter anderem beim WDR. Sie ist Ende 20, als bei ihr ADHS diagnostiziert wird, und erlebt das als Befreiung: Endlich hat sie eine Erklärung für viele Probleme, die sie ihr Leben lang begleitet haben: verpasste Busse, verlegte Schlüssel, nie abgeschlossene Projekte und unüberlegte Spontankäufe. Denn neben »Hyperaktivität« und »Unaufmerksamkeit« gehört die Impulsivität zu den wesentlichen Symptomen von ADHS.

Angesichts ihrer Schwierigkeiten, überhaupt einen Arzt für die ADHS-Diagnostik zu finden, und der teils verständnislosen Reaktionen ihres Umfelds auf die Diagnose ist für Boerger schnell klar: Sie möchte über die Störung informieren. Auf ihrem Instagram-Account #kirmesimkopf, in Podcasts, Talkshows und nicht zuletzt im vorliegenden Buch klärt Boerger darüber auf, dass ADHS keine Kinderkrankheit ist, sondern auch Erwachsene betrifft.

Kinder haben inzwischen gute Chancen auf eine frühe Diagnose. Doch Erwachsene werden selten auf ADHS untersucht, wie die Autorin berichtet. Viele von ihnen leben mit Problemen, die großen Leidensdruck verursachen, weil sie sich nicht erklären lassen – oder höchstens mit »Charakterschwächen« wie Faulheit und Unorganisiertheit.

Unterhaltsam berichtet Boerger von ihrem Alltag, etwa dass sie oft nachts arbeitet, da sie tagsüber von Umwelteindrücken zu stark abgelenkt wird. Sie vermittelt einen Eindruck davon, welche Probleme es verursachen kann, wenn alles »aus dem Sinn ist«, was man nicht direkt vor Augen hat – Aufgaben, aber auch Freunde, Unternehmungen, langfristige Pläne.

So sehr diese Dinge sie manchmal belasten: Boerger möchte ADHS nicht als Krankheit sehen. Vielmehr ist ADHS für sie eine bestimmte Art der Wahrnehmung, die für den Menschen einst von Vorteil war: Das Überleben steinzeitlicher Jäger und Sammler hing davon ab, alle potenziellen Gefahren ständig im Blick zu haben. Leichte Ablenkbarkeit und Impulsivität waren dabei hilfreich. In unserer heutigen Welt, die Stillsitzen und Aufpassen erfordert, fallen Menschen mit ADHS negativ auf – mit entsprechenden Konsequenzen für ihr Selbstwertgefühl.

Boerger hat als Influencerin Kontakt zu vielen Betroffenen und deren Erfahrungen in ihr Buch einfließen lassen. Daneben schaffen Fakten und Expertenmeinungen eine objektive Perspektive. Ein ausführliches Literaturverzeichnis liefert Ideen zum Weiterlesen. So ist »Kirmes im Kopf« ein ausgesprochen informatives Buch, das auf empathische Weise Einblick in das Leben von Menschen mit ADHS gewährt.

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