»Kleine Geschichte Taiwans«: Entscheidet sich hier die Zukunft Asiens?
Spätestens seit dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im August 2022 ist Taiwan in den Fokus vieler Medien gerückt. Unmittelbar danach probte die Regierung der Volksrepublik China die Blockade Taiwans und schoss Raketen über die rund 160 Kilometer vor dem chinesischen Festland liegende Insel hinweg. Eine Annexion Taiwans, die der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping als »Wiedervereinigung« bezeichnet, dürfe nicht in alle Ewigkeit verschoben werden, mahnte er.
Seither ist Taiwan als geopolitischer Hotspot auch hierzulande bekannt. In den Medien stehen dabei oft die Drohungen der chinesischen Führung oder die Bedeutung Taiwans als weltweit wichtigster Standort der Chipindustrie im Mittelpunkt. Die historischen und politischen Hintergründe aktueller Entwicklungen finden in den Berichten jedoch nur selten Erwähnung. Auch auf dem Buchmarkt hatten es Leser bislang schwer, wenn sie sich über die Geschichte Taiwans informieren wollten.
Jetzt aber erscheinen gleich mehrere neue deutschsprachige Bücher, die sich der Geschichte Taiwans widmen – darunter Gunter Schuberts »Kleine Geschichte Taiwans«. Der Autor lehrt am Asien-Orient-Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen und ist Direktor des European Research Center on Contemporary Taiwan. Er publiziert seit Jahren zu Taiwan und zählt zu den wenigen Experten für taiwanische Geschichte in Deutschland.
In der Einleitung nennt Schubert zwei Ziele für sein Buch. Einerseits möchte er »die Komplexität der kulturellen, politischen und nationalen Identität Taiwans« vorstellen und in Beziehung setzen zum »schwierigen Verhältnis« Taiwans zu China. Zweitens möchte er den »Fundamentalkonsens« der Taiwaner erklären. Fast alle Bewohner Taiwans weisen nämlich, so Schubert, den Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas und Xi Jinpings zurück und wollen in ihrem eigenen, de facto souveränen Staat leben. Und zumindest implizit hat Schubert noch ein drittes Anliegen: Auf nur 130 Seiten (ohne Anmerkungen) will er die komplexe Geschichte Taiwans so darstellen, dass eine allgemein interessierte Leserschaft nach der Lektüre über so viel Hintergrundwissen verfügt, dass sie die Berichterstattung in den Medien besser einordnen kann.
Entsprechend liegt der Schwerpunkt von Schuberts Darstellung auf den Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Dennoch steigt der Autor mit der Geografie der Insel ein, auf der die ältesten Spuren menschlicher Existenz rund 20-30 000 Jahre alt sind. Knapp erklärt Schubert, wie im 17.nbsp;Jahrhundert europäische Mächte auf Taiwan Kolonien gründeten und die Insel erst anschließend in den Machtbereich chinesischer Herrscher gelangte. Nach einer militärischen Niederlage trat das chinesische Kaiserhaus Taiwan 1895 an Japan ab. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahm die in der Republik China herrschende Nationalchinesische Partei KMT die Kontrolle über die Insel. Wenige Jahre später, als die KMT gegen die Kommunisten unter Mao Zedong den Bürgerkrieg verloren hatte, wurde Taiwan zu ihrem letzten Zufluchtsort. Halten konnten sich KMT-Führer Chiang Kai-shek und sein Regime nur, indem sie eine äußerst brutale Diktatur installierten. Ende der 1980er Jahre leitete die KMT dann unter dem Druck einer breiten Bürgerrechtsbewegung selbst die Demokratisierung Taiwans ein.
Nach diesem Ritt durch die taiwanische Geschichte beschreibt Schubert in je eigenen Kapiteln die Politik der insgesamt vier demokratisch gewählten Präsidenten (und einer Präsidentin) Taiwans. Zum Abschluss seines Buchs verlässt der Autor dann die chronologische Darstellung. In zwei Kapiteln widmet er sich der taiwanischen Identität sowie dem Konflikt zwischen Taiwan und der Volksrepublik China, die unter Xi Jinping ihren Herrschaftsanspruch gegenüber Taiwan besonders deutlich formuliert.
Souveräne Darstellung
Schon dieser Inhaltsüberblick macht klar: Die Geschichte Taiwans ist komplex, und das Land mag von Deutschland aus betrachtet weit entfernt scheinen. Zudem war die ostasiatische Geschichte hierzulande weder in der Schule noch für die Medien ein besonders relevantes Thema. Schubert muss also davon ausgehen, dass sein Publikum nur wenig Vorwissen mitbringt, an das er anknüpfen kann.
Mit dieser Herausforderung geht der Autor souverän um. Er verliert sich nicht in überflüssigen Details, und so gelingt es ihm, die zentralen Entwicklungslinien der Geschichte Taiwans immer im Blick zu behalten. Auch wenn den meisten Lesern Namen und Geschehnisse zunächst fremd vorkommen mögen, ist das Buch doch flüssig und gut lesbar geschrieben.
So spricht alles dafür, dass Schubert seine Ziele erreicht. Sein Buch bietet einen informierten Überblick, der sich auch zum Nachschlagen eignet, wenn Taiwan aufgrund aktueller Entwicklungen mal wieder nach oben in die Timelines gespült wird und schnelle Orientierung gefragt ist. Und damit ist – leider – auch in Zukunft zu rechnen.
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