»Kleine rote Fische, die rückwärtsgehen«: Von Nordseekrabben, Kellerasseln und anderen Krebsen
Wenn Heinz-Dieter Franke sich als Krebsforscher vorstellt, muss er im selben Atemzug ein Missverständnis aufklären. Denn er ist kein Onkologe, der gegen Krebserkrankungen kämpft. Und anders als ein Krebsmediziner muss er zunächst oft den Sinn seiner Tätigkeit erläutern.
Zudem gebe es viele populäre Irrtümer rund um die Krebstiere, so der Autor. Einige seien vielleicht entstanden, weil es keine andere Tiergruppe mit so vielen unterschiedlichen Bau- und Lebensformtypen gebe, so Franke. Darum sei es auch so schwer, sie in wenigen Worten zu beschreiben. Sind Krebstiere »Muscheln mit Füßen«, »Insekten ohne Flügel« oder doch eher »Fische, die rückwärtsgehen«? Unkenntnis führe dabei oft zu einer irreführenden Namensgebung, denn etwa auch die Seepocke oder der Entenschnabel sind Krebse. Und vielen Menschen sei immer noch nicht klar, dass ebenso die Nordseekrabbe sowie die Kellerassel zu ihnen zählen.
Heinz-Dieter Franke, Professor für Zoologie, hat lange an der »Biologischen Anstalt Helgoland« des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) gearbeitet. Sein Spezialgebiet: Krebse. Vor wenigen Jahren wurde sogar eine neue Flohkrebsart nach ihm benannt: Epimeria frankei. Der Krebsforscher bedauert, dass es kein deutschsprachiges Sachbuch gebe, das sich gänzlich auf die Biologie der Krebse konzentriere. Dennoch sei es nicht das vorrangige Ziel seines Buchs, diese Lücke zu schließen. Sein Thema sei vielmehr die Frage, was uns als Menschen mit Krebsen verbindet. Und so hat er seit Jahrzehnten »Krebsgeschichten« gesammelt – Gelesenes und Gehörtes zu »Krebsen und Menschen«.
Entstanden ist dabei ein wunderbares und vielfältiges Buch über Krebse. Franke bezeichnet seine immense Sammlung als populäre »Kulturgeschichte der Krebse«. Sie enthält Erzählenswertes aus Kunst und Astronomie, über Reisen von Naturforschern, über Märchen und Mythen und widmet sich auch Sprachbildern wie dem »Krebsgang«. Aber sein Buch ist noch viel mehr. Denn auch wenn die Kulturgeschichte zwar im Vordergrund steht, so kommen doch ebenso naturwissenschaftliche Aspekte zu ihrem Recht.
Im Hauptteil berichtet Franke von bekannteren Vertretern wie Hummern, Flusskrebsen und Garnelen. Doch auch die kleinen zentimeter- oder nur millimetergroßen Krebse, die Asseln, die Ruderfußkrebse und Seepocken, finden Beachtung. Spannend beschreibt der Autor die Entstehung der erstaunlichen biologischen Artenvielfalt, den Landgang der Meerasseln, die Namensgebung der weiblichen »Samuraikrabbe« oder die lumineszierenden Muschelkrebse. Franke stellt Krebse vor, die Knallgeräusche verursachen, und erklärt, wie Töne sich im Wasser verhalten. Wie Kamerun durch einen Krebs zu seinem Namen kam und dass Hummer in Amerika früher Futter für Nutztiere waren – all das nimmt Franke in den Blick, ebenso das Krebswunder des Franziskus Xaverius, den Krabbendämon der Moche-Kultur in Peru oder einen Krebs, der Aale frisst.
Die kuriose Welt der Krebse
Franke zitiert auch Schriftsteller wie Jean-Paul Sartre oder Theodor Fontane, der Krebse als eine Plage in der Mark Brandenburg ansah. Er schreibt, welches künstlerische Interesse Maler und Malerinnen an Krebsen hatten, und zeigt die so entstandenen, teils skurrilen Bilder. Besonders der Hummer hat zu vielen Kunstwerken inspiriert – etwa Jeff Koons, Salvator Dalí, Albrecht Dürer oder Anne Vallayer-Coster, die ihr »Stillleben mit Hummer« realistisch mit auf dem Tier festsitzenden Seepocken gezeichnet hat.
Der Impuls, die Tiere um ihrer selbst willen zu studieren, wurde in der Forschung erst relativ spät aufgenommen. Daher plädiert Franke auf charmante Weise für die Grundlagenforschung zu Krebsen. Er führt dazu einen japanischen Krebsforscher an, der wissen wollte, wie die Biolumineszenz bei Muschelkrebsen funktioniert. Geforscht hatte er ohne Zielvorgaben, ohne den Nutzen für den Menschen im Sinn zu haben, nur getrieben von Wissensdrang. Aber gerade aus der »Beschäftigung mit scheinbar skurrilen, randständigen Objekten« gehen die großen Forschungsleistungen hervor, so Franke. In diesem Fall dann doch auch mit Nutzen für den Menschen: Denn »wenn heute nach Indizien für ein früheres Leben auf dem Mars gesucht wird, wenn nach winzigen Spuren von Sprengstoffen gefahndet wird, wenn Giftstoffe in Lebensmitteln und im Trinkwasser überwacht werden, die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten und die Bildung von Metastasen verfolgt werden sollen oder wenn in modernen Bluttests auf Drogen, Hormone, Virus-, Bakterien- und Krebsproteine getestet wird«, dann ist die einstige Grundlagenforschung des japanischen Forschers die Grundlage dazu.
Vielleicht taugt diese Begebenheit nicht nur als Argument für die Grundlagenforschung im Allgemeinen, sondern motiviert auch dazu, den scheinbar skurrilen, randständigen »Muscheln mit Füßen« mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Mit seinem wunderbaren, äußerst unterhaltsamen Buch liefert Franke sehr gute Gründe für beides.
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