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Vargas empört sich

Reißen wir das Ruder herum, alle! Das fordert die französische Krimiautorin Fred Vargas und schreibt faktenreich und erfrischend wütend zur Klimakrise.

Normalerweise denkt sich die französische Krimiautorin Fred Vargas die Verbrechen selbst aus, die dann der Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg lösen muss. Und manchmal kann sie auch schummeln, weil sie das Ende ja bestimmt, schreibt sie. Doch in ihrem neuen Buch ist es anders.

Eigentlich hatte sie vor, schnell ein kleines Büchlein über die Klimakrise zu schreiben. Recherchieren sollte ihr leichtfallen, so Vargas. Schließlich war sie früher Wissenschaftlerin und hatte im Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Paris gearbeitet. Doch während sie – ohne zu schummeln – recherchiert, stellt sie fest: Auf den offiziellen Webseiten der französischen Behörden gibt es nur wenige Informationen.

Desinformationskampagne

Sie nennt es gezielte »Desinformation«, gegen die sie mit ihren Mitteln kämpfen möchte, und macht sich an die Arbeit, die immer umfangreicher wird. Es ist aber nicht nur die fehlende Information von amtlicher Seite. »Finden wir etwa in unseren Briefkästen oder in unserer Mailbox vom Staat herausgegebene Broschüren, die uns warnend auf diesen oder jenen Aspekt der Weltsituation hinweisen?«

Und so studiert Fred Vargas mehr als 400 Quellen, wissenschaftliche Studien, Berichte von Umweltschutzorganisationen und Medienberichte. Sie führt Fakten zur Klimaerwärmung an, zum Meeresspiegelanstieg und benennt die Folgen für Menschen. Und stellt fest: »Da stand ich auf einmal fassungslos vor dem gigantischsten Verbrechen, das man sich je hat ausdenken können.«

Auch wenn Vargas das harmlos klingende Wort Klimawandel benutzt, betont sie, wie es eigentlich heißen sollte. Neben dem Buch gibt es auch eine Hörversion. Die deutsche Sprecherin Elke Schützhold trifft die Stimme von Vargas und bringt deren Empörung glaubwürdig rüber. Denn empören tut sie sich oft. »Und, verdammt, wir werden es nicht zulassen, dass dieses ungeheuerliche Verbrechen geschieht! Jedenfalls nicht in dem Ausmaß, das alle Wissenschaftler voraussehen angesichts der unglaublichen Tatenlosigkeit der Regierenden, die seit vierzig Jahren genauestens darüber informiert sind, welche Katastrophe auf die Erde zurollt. Und sie sind besser informiert als wir.«

Vargas' Buch ist faktenreich, unterhaltsam und erfrischend wütend. Eine sicher angemessene Reaktion auf die kommende Katastrophe. Wenn ihr Temperament einmal mit ihr durchgeht, greift sie zu einem sympathischen Trick. Sie hat einen Zensor eingebaut. Der sie immer mal wieder ermahnt, wenn sie vom Thema abkommt, zu sehr ins Detail geht oder abschweift: »Biep: Ihre Rage hat hier nichts zu suchen. Hat mit dem Thema nichts zu tun. Kommen sie wieder zur Sache … Jaja, schon gut.«

Ihr Interesse an Umweltthemen ist nicht neu. Bereits in ihrem Krimi »Zorn der Einsiedlerin« flicht sie das Thema mit ein, als ihr Kommissar einen Kollegen auf ein Getränk einlädt. »Adamsberg entkorkte den Wein, öffnete das Glas mit der Tomatensauce, betrachtete es einen Moment, bevor er es dem Lieutenant reichte. ›Man weiß nicht, was da alles drin ist. Dreiundvierzig Pestizide, Erdöl, Kosmetikprodukte, Pferdefleisch, Nagellack. Man weiß nicht, was man in sich hineinfrisst.‹«

Sie schildert in ihrem Klimabuch aber auch, welche Möglichkeiten es gibt, die Klimakrise abzumildern, welche Technologien helfen könnten, und analysiert das Für und Wider von Elektroautos, Sonnenenergie oder ökologischer Landwirtschaft. Zwar finden sich diese Themen auch in anderen Büchern, doch Vargas deckt immer wieder unbekanntere Einzelheiten auf. Wie Reisanbau zu viel Methan freisetzt, dass es im Elsass ein Unternehmen gibt, das Solaranlagen recycelt, oder dass es nicht nur um Kohlendioxid geht, weshalb sie die Herkunft anderer Klimagase schildert.

Es ist eine immense Fülle von Themen, und manchmal schleichen sich kleine Ungenauigkeiten hinein, die teilweise einer falschen Übersetzung geschuldet sind. So verbrennt ein Wasserstoffauto kein Dihydrogenmonoxid, denn »dihydrogène« heißt einfach Wasserstoff (H2), und der »hydrolysierte« Wasserstoff wird für Brennstoffzellenautos auch nicht aus Meerwasser gewonnen. Auch das von ihr angegebene Ende von Rohstoffen wie Lithium, Phosphor oder Uran sollte besser hinterfragt werden. Die Aussage, die Radioaktivität in der Mongolei sei 32-fach erhöht, ist nicht hilfreich, wenn die Einheit fehlt. Zudem sind 15 600 Kilowattstunden keine 15,6 Megawatt. Doch es sind nur wenige solche Fehler im Buch. Dafür erschließt sie den Lesenden die Welt der Forschung mit einfachen Worten, auf verständliche Weise und verschafft ihnen hohen Lesegenuss.

Mit der französischen Regierung und deren Verstrickung mit der Industrielobby geht sie allerdings hart ins Gericht. Auf einer langen Liste formuliert sie zum Schluss konkrete Vorschläge, was die Regierenden jetzt für Gesetze erlassen sollten, etwa das Einhalten der Klimaziele, ein Verbot von Einwegplastik oder ein energisches Vorgehen gegen Steuerbetrug. Sie lässt aber auch nicht aus, was wir tun können: wählen gehen, auf der Straße demonstrieren oder Petitionen schreiben. »WIR«, wie sie in Großbuchstaben schreibt, sollen unseren Fleischkonsum überdenken, weniger heiß waschen, auf Palmöl verzichten und unseren Wasserverbrauch reduzieren. Nun, das klingt sehr nach erzieherischen Maßnahmen. Vielleicht ist ihr aber auch die Hoffnung abhandengekommen, dass die Regierungen das Ruder herumreißen.

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