An die Spitze des Reichs
Im Jahr 1273 wurde Rudolf I. von Habsburg zum König des Heiligen Römischen Reichs gekrönt. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied dieses oberrheinischen Adelsgeschlechts derart aufstieg. Worauf sich die Zeitgenossen schon damals keinen Reim machen konnten, beschäftigt die Historiker noch heute: Wie war es möglich, dass ein »kleiner Graf«, als den ihn seine Gegner verspotteten, in einem von mächtigen Fürsten dominierten Reich zum König avancierte?
Dieser internationale Tagungsband, herausgegeben von dem Mittelalterhistoriker Bernd Schneidmüller, versucht das zu beantworten. Namhafte Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beleuchten darin die Herrschaft des ersten Habsburgerkönigs aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie befassen sich mit Rudolfs Herkunft aus kleinterritorialen Verhältnissen, seinem Weg zur Krone und seiner herrschaftlichen Durchdringung des Reichs, mit der er den Aufstieg der Habsburger ermöglichte – bis hin zur Weltgeltung unter Kaiser Maximilian I. (1486-1519).
Einzug des Wahlkönigtums
Rudolfs überraschende Wahl zum römisch-deutschen König 1273 lässt sich nur angesichts der politischen Umstände im ausgehenden Hochmittelalter verstehen. Mit dem Tod des letzten Stauferkaisers Friedrich II. (1250) verschob sich das Machtgefüge im Reich: Einerseits kam es zu einer Schwächung des Königtums, andererseits zu einer Stärkung der Landesherren. Dieser als »Interregnum« bezeichneten Phase der Rechtsunsicherheit, in der es keine durchsetzungsfähige Zentralgewalt mehr gab, habe Rudolfs Krönung ein Ende bereitet, schreibt der Autor.
Im Interregnum, legt Schneidmüller dar, veränderte sich die Wahl des Reichsoberhaupts. Nicht mehr das Geburtsrecht bestimmte fortan darüber, wer König wurde, sondern ein Kollegium aus drei kirchlichen und vier weltlichen Kurfürsten. Das daraus resultierende Wahlkönigtum eröffnete selbst einfachen Territorialherren wie Rudolf die Chance auf den Thron. Es ging 1356 mit der »Goldenen Bulle« in die spätmittelalterliche Reichsordnung ein.
Rudolf kam zugute, dass er den Wünschen der Kurfürsten entsprach: Als Graf nicht zu mächtig, aber doch durchsetzungsstark genug, um den in ihren Augen »langwährenden Verfall« des Reichs zu stoppen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Spielräume seiner Königsmacht gekonnt nutzend, setzte der Aufsteiger alles daran, seine Herrschaft zu stabilisieren und langfristig zu sichern. Hierzu ließ Rudolf seine Verwandten durch geschicktes Vermitteln in die fürstlichen Reichseliten einheiraten. Damit ermöglichte er es seinen Söhnen, Herzog von Österreich beziehungsweise der Steiermark (1281/82) zu werden, und sicherte seiner Familie Macht und Einfluss – mit Schneidmüllers Worten, er »machte sie königsfähig«.
Auch wie Rudolf Stadtrechte verlieh, entsprang politischem Kalkül, wie aus dem Buch hervorgeht. Er band damit die urbanen Eliten an sich und sicherte sich mit der Wirtschaftskraft der Städte eine lukrative Einnahmequelle.
Die Autoren stimmen darin überein, dass mit Rudolf von Habsburg ein neues Kapitel der deutschen Königsgeschichte begann und damit verbunden auch ein neuer Herrschaftsstil. Die zeitgenössischen Quellen beschreiben Rudolf als volksnahen Herrscher, gleichsam als »König zum Anfassen« – jedenfalls im Vergleich zu den erhabenen, unnahbaren Staufern. Seine »Hausmachtpolitik« ebnete den Habsburgern den Weg, jahrhundertelang fast ununterbrochen die römisch-deutschen Könige und Kaiser zu stellen.
Die erneuerte Königsgewalt im Reich war, wie Schneidmüller betont, keine Anknüpfung an »das Mittelmeerimperium Friedrichs II.«, sondern eine »vergangenheitsgestützte Neukonstruktion, die sich aus vagen Erinnerungen an das 10. bis 12. Jahrhundert speiste«. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass Rudolf als seine letzte Ruhestätte den Speyerer Dom erkor, die traditionelle Grablege der deutschen Herrscher. Damit unterstrich der »Grafenkönig« seine monarchische Verbundenheit mit früheren salischen und staufischen Potentaten.
Das lehrreiche Buch vermittelt interessante Einblicke in das Leben und Wirken des ersten Habsburgerkönigs, hilft aber auch dabei, die Handlungs- und Denkmuster im ausgehenden Hochmittelalter besser zu verstehen. Indem es den Aufstieg des »Grafen vom Oberrhein« in die Geschichte des 13. Jahrhunderts einbettet, macht es begreiflich, wie Rudolf den habsburgischen Besitz kontinuierlich ausdehnen und die Machtbasis seiner Familie erweitern konnte.
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