Frühstückskaffee und Bakterien mit Flatulenzen
Mai Thi Nguyen-Kim hat eine Mission: Die Chemikerin und YouTuberin möchte das Wissen über Chemie populär machen. Um ihrem Publikum die Berührungsangst vor dem Fach zu nehmen, schildert sie in diesem Buch den Ablauf eines ganz normalen Tags. Was sie zwischen morgens und abends die Hand nimmt, isst oder womit sie sich wäscht, damit befasst sie sich aus der Perspektive ihrer Wissenschaftsdisziplin. Zudem will sie zeigen, dass Chemiker(innen) ganz normale Menschen sind. Also plaudert sie nebenher über ihr Leben, ihre Familie und den Liebeskummer ihrer besten Freundin.
Der Tag beginnt in dem Buch mit dem schrillen Klingeln des Weckers, den ihr Freund mal wieder zu laut gestellt hat. Es folgt das Koffein im Frühstückskaffee, ein Exkurs in das richtige Aufladen des Smartphone-Akkus und etliches mehr. Am Ende beschließt die Autorin den Tag mit einem geselligen Wein am Abend.
Nicht so oft duschen
Bei alldem führt Nguyen-Kim originell in Grundprinzipien der Chemie ein, beispielsweise in das Teilchen- und Schalenmodell, das Konzept der Wasserstoffbrücke oder die Oktettregel. Auch vermittelt sie zahlreiche Details am Rand. So beschreibt sie nicht nur, wie der Wecker klingelt, sondern stellt auch die Hormone vor, die der Körper zum Wachwerden aktiviert, und erklärt deren Wirkung. Zusätzlich gibt sie immer wieder alltagsrelevante Tipps, indem sie zum Beispiel erklärt, wieso man Kaffee besser erst eine Stunde nach dem Aufstehen trinken sollte oder warum tägliches Duschen gar nicht so gut ist (weil die Tenside und andere Bestandteile des Duschgels die hydrophile Schutzschicht der Haut zerstören).
Die Autorin erklärt die chemischen Zusammenhänge originell, fachlich kompetent, gut recherchiert und jeweils mit Quellenangabe. Sie führt chemische Strukturformeln an und geht auch anderweitig durchaus ins Detail. Trotzdem kommt der Humor nicht zu kurz; so tauchen die Kariesbakterien mit ihren säurehaltigen Ausscheidungen als pupsende Wesen im Zahnbelag auf. Die Autorin schreibt dazu, dies sei vielleicht nicht die akkurateste Analogie, aber Kinder würde sie damit zum Lachen bringen, die sich dann die Zähne besser putzen.
Aber das Buch hat noch eine andere große Stärke. Denn immer wieder weckt die Autorin die Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen. Nguyen-Kim zeigt oft Schwachstellen einzelner Studien auf, etwa eine zu geringe Probandenzahl. Damit möchte sie erreichen, dass weniger Menschen neuen wissenschaftlichen Hypes gedankenlos hinterherlaufen, und generell ein Gespür dafür vermitteln, was eine belastbare Information ist. Einige Studien schildert sie in dem Zusammenhang ausführlicher, etwa zur Wirkung von Zitrus-Duft. Psychologinnen hatten in einem Experiment festgestellt, dass Teilnehmer sich unter dessen Einfluss ordentlicher und fairer verhalten. Unter Berücksichtigung der Versuchsbedingungen ist die Studie aber alles andere als aussagekräftig.
Ausführlich plaudert Nguyen-Kim über ihre persönliche Begeisterung für Chemie, oder auch darüber, in welche Männer ihre Freundin verknallt ist und dass Nerds nett sein können. Das mögen manche Leser(innen) fehl am Platz finden, doch ist zu bedenken, dass die Autorin erfolgreiche YouTuberin ist und ein Großteil ihres Publikums aus Mädchen im Teenager-Alter besteht. Ihr Wissenschaftskanal »maiLab« hat inzwischen fast 350.000 überwiegend junge Abonnent(inn)en – und das ist eine Zielgruppe, die sich eben auch dafür interessiert, dass Mai‘s Freundin Christine die übertriebene Angst ihres Freundes vor Fluoriden doof findet, wie man Ärger auf dem Universitäts-Campus vermeidet oder wie lange es dauert, ein YouTube-Video zu drehen.
Oft wirkt es reichlich übertrieben, wenn die Autorin von ihrer Begeisterung für Chemie schwärmt. Hier hat vielleicht eine gewisse amerikanische Theatralik in Harvard abgefärbt, wo Nguyen-Kim promoviert hat, oder auch die plakative Manieriertheit, die bei YouTuber(inne)n typisch ist. Wer jedoch über die geschwätzigen Teile hinwegsehen kann, findet ein unterhaltsames Chemiebuch vor, das am Ende sogar die Geheimnisse eines perfekten französischen Schokoladenkuchens verrät. Natürlich mit allen chemischen Details, darunter der Strukturformel des Schokoladenbestandteils Theobromin.
Das Buch gibt es auch als sechsstündiges Hörbuch, vorgelesen von der Autorin. Mit seinen plaudernden Passagen und der Mischung aus Faktischem und Anekdotischem erweist es sich als unterhaltsam und eignet sich etwa für längere Bahn- oder Autofahrten.
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