»Kompass für die Seele«: Jetzt aber!
Früher aß man, weil (oder damit) es schmeckte. Heute, um dem Organismus die richtige Menge an entzündungshemmenden und die Neurogenese fördernden Polyphenolen sowie Omega-3-Fettsäuren zuzuführen. Früher traf man andere Menschen, entweder weil man musste (Familie, Kollegen) oder weil man gemeinsam Spaß haben und die Welt verbessern wollte. Heute ist »sozialer Austausch« eine Strategie, um die eigene Seele zu stärken und notfalls Unterstützung zu finden. Früher nahm man Drogen, um Teil einer Jugendbewegung zu sein oder den inneren Kontinent zu entdecken. Heute sind Ecstasy, LSD und Pilze »die mächtigste Einzelmethode, die Psyche zu beleben«, so der Ratgeberautor Bas Kast.
Um es vorwegzunehmen: Kasts neues Buch ist von einem so selbstverständlich ichbezogenen Optimierungsstreben beseelt, dass einem bei der Lektüre schon etwas trist zumute werden kann. Zumindest wenn man sich die Frage stellt, wozu all das wissenschaftlich fundierte, durch »neueste Studien« abgesicherte Gutdraufsein und die anzustrebende Resilienz denn letztlich dienen sollen. Diese Frage stellt der Autor interessanterweise nie; es scheint der ultimative Selbstzweck eines im Kern nihilistischen Lebensstils zu sein: Werde stark und glücklich, egal was du mit deiner Stärke und deinem Glück anfängst (oder nicht).
Leiden erscheint hier einzig und allein als zu überwindendes Hindernis – oder als Sprungbrett: Wenn man es trägt, dann selbstbestimmt und kurz, um im nächsten Moment strahlender und lebenslustiger daraus hervorzugehen. So beschreibt es Kast in der von ihm empfohlenen »Eisbad-Selbstüberwindungslogik« nach dem Motto »Was mich nicht umbringt, macht mich stark«.
Wie schon mit seinem 2018 erschienenen Millionen-Bestseller »Der Ernährungskompass« liefert Kast eine optimale Anleitung zum optimalen Leben. Alles mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft belegt, wenn auch die vollmundige Unterzeile des Vorgängerbands (»Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien …«) nun zu »Das Fazit neuester Studien …« herabgestuft wurde. Zum ganz großen Rundumschlag fehlte vielleicht die Muße.
Dennoch kommt so ziemlich alles vor, was »uns moderne Stadtneurotiker« auf Trab bringt und aus dem Stimmungstief zieht. Mediterrane Kost als Antidepressivum, stoische Gelassenheit als Antidot zum stressenden »Säbelzahntiger« (alias überquellende Terminkalender und Anforderungen in Job und Familie). Weniger industriell gefertigte, zuckerreiche Kost, weniger Alkohol, mehr Bewegung, mit offenen Augen in die Natur hinausgehen, Zeit zum Meditieren und für soziale Aktivitäten einplanen und durch gelegentliche rauschhafte Kicks (siehe Eisbad oder psychedelische Trips) sich selbst neu spüren.
Oft sind Remake-Titel, die auf der Erfolgswelle eines vorherigen Bestsellers schwimmen, kein Hochgenuss. Doch Kasts Buch will offenkundig gar nicht mehr sein, als eine nüchterne Auflistung des bewährten Psycho-Knowhows. Hand und Fuß hat das alles, nur muss man den permanenten Appell, das unterschwellig treibende »Jetzt aber, mach mal!« schon mögen. Was könnte, sollte, müsste man nicht alles tun und ausprobieren!
Also dann, schnell noch etwas vom »Power-Polyphenol« Kurkumin ins Essen gestreut, noch eine Runde nach dem individuellen Wohlfühlplan gejoggt und danach die überfällige Eisdusche genommen – auf dass es endlich wird mit der guten Laune und starken Psyche! Und dabei am besten so topfit dreinschauen, wie der Autor auf der Buchrückseite, der all seine Tipps selbst beherzigt und zwei, drei Fischölkapseln pro Woche schluckt, die auch ethisch viel besser sind, als so viel Fisch zu verspeisen, der ja genauso Schmerz empfindet wie wir ...
Kasts Bericht ist das Buch gewordene schlechte Gewissen. Tu was, jetzt, es ist nie zu spät, das gute Leben zu beginnen. Worauf wartest du, »befreie deinen Geist«!
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