Der sanfte Revolutionär
Eines der bedeutendsten Werke der Wissenschaftsgeschichte erschien im Jahr 1543. Sein Autor verstarb noch im selben Jahr. Beinahe hätte es die sechsbändige Publikation von Nikolaus Kopernikus (1473-1543) gar nicht in den Druck geschafft. Denn der polnische Astronom war sich unsicher, ob er seine gewagten Thesen wirklich öffentlich machen sollte. Ihnen zufolge stand die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums, was damals ein gefährlicher Gedanke war.
Unter dem Titel "De revolutionibus orbium coelestium" gab das Werk nach seinem Erscheinen denn auch einen der wichtigsten Denkanstöße in der Geschichte der Menschheit, wenngleich es relativ wenig Aufsehen erregte, gemessen etwa an den Publikationen des Galileo Galilei (1564-1642). Kopernikus' Beobachtungen widerlegten die geozentrische Perspektive der Antike und schufen die Grundlagen der modernen Astronomie.
Das vorliegende Werk bettet Kopernikus' bahnbrechende Erkenntnisse in den Kontext der Wissenschaftsgeschichte ein. Der Physiker und Historiker John Freely beginnt bei griechischen Philosophen wie Aristoteles, denen zufolge die Erde fest im Zentrum des endlich großen Kosmos verankert und jeder andere Himmelskörper von ihrem Schwerefeld abhängig ist. Weiterhin befasst er sich mit dem englischen Gelehrten Adelard von Bath (12. Jh.) und weiteren Schlüsselfiguren beim Transfer des arabischen Wissenschaftswissens nach Europa. Freelys Ausführungen schließen mit Galileo Galilei und Isaac Newton (1643-1727), die nach Kopernikus' Tod dessen Ideen übernahmen.
Quadrant, Triquetrum, Armillarsphäre
Der Autor pflegt einen extrem sachlichen Erzählstil, indem er sich weitgehend auf das Aufarbeiten von Fakten beschränkt. Ein Gefühl für die Zeit der Renaissance, ihre Aufbruchsstimmung und ihre enormen wissenschaftlichen Fortschritte stellt sich bei der Lektüre deshalb leider nicht ein. Immerhin sind die Ausführungen sehr informativ, etwa hinsichtlich Kopernikus’ Zeit im Frauenburger Kapitel des Bistums Ermland. Als Leser erfährt man hier, welche Geräte damals für Himmels- und Erdbeobachtungen dienten, und dass Kopernikus etwa den Quadranten, das Triquetrum und die Armillarsphäre verwendet habe. Alle drei gab es schon in der Antike; bereits Claudius Ptolemäus (2. Jh.) setzte sie ein. Indem Kopernikus seine Messungen mit den ptolemäischen verglich, zeigte er, dass die Neigung der Erdachse sich periodisch verändert. Solche Details, die Freely immer wieder einstreut, dürften bei Astronomie-Interessierten auf großes Interesse stoßen.
"De revolutionibus orbium coelestium" war der Zündfunke der modernen Astronomie. Nichtsdestoweniger überstrahlte Johannes Kepler (1571-1630) später die epochale Leistung des polnischen Astronomen, indem er seine Gesetze der Planetenbewegung formulierte. Kopernikus, einer der Väter der modernen Wissenschaft, blieb so eine eher schemenhafte Figur, wie Freely am Ende schreibt. Das zeigt sich in dem Buch vor allem anhand der Tatsache, dass sich weite Teile gar nicht direkt mit dem Forscher und seinem Werk beschäftigen, sondern eher mit der Entwicklung der Astronomie über die Jahrhunderte hinweg – bis an den Punkt, an dem endlich kein Zweifel mehr daran bestand, dass die Erde um die Sonne kreist.
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