Leistung statt Rausch
Der Leistungsdruck in der Arbeitswelt kann hoch sein: 80-Stunden-Wochen sind in einigen Unternehmen der Finanz- oder IT-Branche keine Seltenheit. Es soll Banker geben, die morgens mit dem Taxi nach Hause fahren, sich dort duschen und umziehen, um sich anschließend wieder zurück in die Firma bringen zu lassen. Um solchen Anforderungen standzuhalten, dopen sich manche Menschen mit illegalen Substanzen.
Anhand von Beispielen beschreibt der Journalist Alexander Wendt das Phänomen des »Microdosing«, bei dem sich der Konsument kleine Drogenmengen verabreicht, um den Schlaf zu unterbinden, den Arbeitsoutput zu erhöhen und die Kreativität zu steigern. Dabei steht also im Vergleich zum herkömmlichen Gebrauch nicht der Rausch, sondern eine Leistungssteigerung im Vordergrund.
»Panzerschokolade« für die deutschen Soldaten
Wendt zufolge wurde die Substanz Methamphetamin in den 1890er Jahren als Medikament entwickelt, um das Schlafbedürfnis zu unterdrücken. Im Zweiten Weltkrieg sollte sie unter den Spitznamen »Panzerschokolade« oder »Fliegermarzipan« das Durchhaltevermögen der deutschen Soldaten fördern. Heute nennt man sie Crystal Meth. Wie häufig sie zurzeit in Europa konsumiert wird, geht aus Abwasseruntersuchungen hervor: Die höchsten Rückstände finden sich in Chemnitz, Erfurt und Budweis in Tschechien.
Der Journalist hat für sein Buch Konsumenten und Dealer, Ärzte, Polizisten sowie Microdosing-Coaches interviewt. Er präsentiert dem Leser ein provokantes Buch, das diesen in die Drogenkultur des 21. Jahrhunderts einführt. Dabei wird auch Wendts persönliche Meinung ersichtlich. So hält er die seit den 1920er Jahren praktizierte Verbotspolitik von Drogen für nicht erfolgreich, denn sie habe einen kaum kontrollierbaren Schwarzmarkt hervorgebracht. Eine Lösung sieht er in der Entkriminalisierung, die etwa Portugal seit den 2000er Jahren betreibt. Dort ist der Drogenbesitz zwar nicht legal, der Besitz bestimmter Mengen wird jedoch nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Was sind die Folgen solcher Entwicklungen? Wendt macht deutlich, dass Drogenkonsum stets ein Tauschgeschäft ist: eine außergewöhnliche Fähigkeit oder Erfahrung (durch den Wirkstoff) gegen eine (bislang intakte) Körperfunktion. Die Auswirkungen der Entkriminalisierung sowie des Microdosing seien aber noch nicht abzusehen.
Mitunter erscheint die Haltung des Autors ambivalent. So fragt er: »Könnte es sein, dass die Wünsche nach Freiheit von Beschränkungen wie Schmerz, nach Unverwundbarkeit, nach dem Herumspielen an der eigenen Standardeinstellung so ursprünglich und elementar sind, dass Narkotika zum Gehirn also passen wie ein Schlüssel zum Schloss? Dass Menschen und Drogen ein System bilden?« Zwar wurden Drogen offenbar schon immer eingesetzt, um außergewöhnliche Zustände zu erreichen. Doch was folgt daraus für uns heute? Sollte man, statt sie zur Leistungssteigerung einzusetzen, nicht vielmehr versuchen, die Arbeitsbelastung zu reduzieren? Auf die Frage, ob Wendt selbst bei der Optimierung mitmachen würde, ist er unschlüssig und erbittet sich einen Aufschub von zehn Jahren.
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