»Künstliche Intelligenz und echtes Leben«: Gute KI, böse KI
Wenn künstliche Intelligenz »überall integriert wird, werden wir Superkräfte auf Knopfdruck haben. Wir werden in der Lage sein, mehr zu tun, mehr zu erschaffen und mehr zu haben«, so Sam Altman, CEO von OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT. Dieser Aussage hält der medial engagierte Philosoph Christian Uhle entgegen: »Das Versprechen, durch Technik mehr Zeit für das Wesentliche zu gewinnen, geht in der Realität selten auf.«
Die Grundlagen der KI erklärt der Autor durchaus nachvollziehbar, beleuchtet wichtige technische Details und erläutert auch Begriffe wie das »Internet der Dinge«: Es vernetzt nicht nur Menschen mit Maschinen, sondern auch Maschinen untereinander, so dass etwa im Smart Home der Kühlschrank den Einkauf übernehmen kann.
Uhle verweist auch auf die häufig beschworenen Gefahren der neuen Technologien wie den Verlust von Arbeitsplätzen oder eine Herrschaft von Maschinen über Menschen. KI berge auch massive Umweltrisiken: »Insgesamt verursachen digitale Technologien etwa drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen – das ist mehr als durch den zivilen Luftverkehr.«
Der Autor kritisiert auch, dass künstliche Intelligenz im öffentlichen Diskurs und insbesondere in der Kommunikation der Anbieter immer menschlichere Züge erhalte, so dass sie nicht nur als Alltagshilfe, sondern auch als gute Freundin wahrgenommen werde. Doch, so betont Uhle, die KI verstehe nichts, rechne nur, auch wenn sie verständliche Sätze produziere und sogar zu einer Unterhaltung fähig scheine: »Die KI-Freundinnen sind weder nahestehende noch unbekannte Personen, sondern einfach nur Simulationen.« Gleichzeitig verstößt Uhle häufig selbst gegen diese Einsicht, indem er die KI in seinen Formulierungen vermenschlicht.
Uhle ist überzeugt: Die Digitalisierung verbinde Menschen nicht, obwohl die sozialen Netzwerke das suggerierten. Vielmehr verstärkten sie Einsamkeit, denn »die besten Entwicklerinnen und Entwickler der Welt werden mit viel Geld dafür bezahlt, die Plattformen im Detail so zu gestalten, dass sie die Nutzungsdauer maximieren – und eine emotionale Abhängigkeit schaffen.« Gleichzeitig könne KI aber auch so eingesetzt werden, dass sie nicht abhängig mache, vielmehr Autonomie und Mitmenschlichkeit fördere. So könne KI hilfsbedürftigen Menschen ununterbrochen zur Seite stehen. Doch wenn die entsprechenden Anwendungen dabei nicht den Interessen von Unternehmen folgten, würde ihr Einsatz monatlich mehrere hundert Euro kosten – und dadurch für die meisten unbezahlbar.
Sinnlos oder die Erlösung?
So gebe es meist verschiedene Optionen für den Einsatz von KI-Anwendungen: »Werden KIs in Führungspositionen gesetzt und verteilen Aufgaben an Menschen? Oder werden KIs ihre Assistenzen? Oder wird beides der Fall sein?« Fördert Online-Dating die Beziehungsfähigkeit der Menschen? Oder sind sie mit deren Möglichkeiten überfordert?
Mit zunehmender Einsamkeit geht für Uhle ein Verlust an Sinn einher. So stimmt er in den zurzeit populären Chor derjenigen ein, die einen Sinnverlust in der digital geprägten Gegenwart beklagen. Er stellt fest: »Sinn ist kein Gefühl, das wir aktiv empfinden, sondern der Boden, auf dem wir durch das Leben gehen« – das moderne säkulare Weltbild ermögliche einen solchen Lebenssinn aber nicht mehr. Daher fordert Uhle ganzheitliches Denken: »Sinn entsteht nicht aus einer Haltung der Beherrschung heraus, sondern wenn wir uns der Welt gegenüber öffnen, wenn wir bereit sind, uns berühren zu lassen« – ein mystischer Gedanke.
Uhle fordert, wir sollten künstliche Intelligenz richtig anwenden: nicht zur Beherrschung der Natur und im Dienste ökonomischer Interessen, sondern in einer sozialen Ausrichtung. So gewendet, trägt die KI für Uhle Züge des Heiligen Geistes, wenn er etwa formuliert, sie könne »ein Geschenk für unsere Spezies« sein. In solchen Passagen klingt Uhle sogar euphorischer als Sam Altman – was angesichts seiner Verweise auf die Schattenseiten der KI doch etwas verwundert.
Wenn Uhle schreibt, »wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel, und das erfordert Mut«, dann träumt letztlich auch er den großen Traum vom sozialen Fortschritt digital weiter. Dabei klingen allerdings viele seiner Aussagen so banal wie die gerade zitierte, und auch an altklug formulierten Gedanken mangelt es in diesem Buch nicht. So entsteht – trotz einiger erhellender Passagen – als Gesamteindruck: Dieses Buch muss man nicht unbedingt lesen.
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