Pflanzen als Vorbild
Obwohl die Energiewende seit Langem auf der politischen Agenda steht, deckt Deutschland noch rund 80 Prozent seines Primärenergiebedarfs über fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas – mit verheerenden Folgen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Doch auch die bisher eingesetzten regenerativen Energiequellen wie Fotovoltaik und Windkraft werfen Probleme auf, insbesondere was die Speicherung der Energie angeht.
Zur Lösung dieser Probleme könnte die künstliche Fotosynthese beitragen. 2016 haben die deutschen Wissenschaftsakademien eine Arbeitsgruppe gebildet, die diese Zukunftstechnologie erforscht. Drei ihrer Mitglieder haben dieses Buch verfasst. Holger Dau ist Professor im Bereich Biophysik an der FU Berlin; Philipp Kurz leitete jahrelang eine Arbeitsgruppe zur künstlichen Fotosynthese in Kiel und ist seit 2012 Professor für Bioanorganische Chemie in Freiburg; Marc-Denis Weitze ist promovierter Chemiker, Privatdozent für Wissenschaftskommunikation an der TU München und leitet den Themenschwerpunkt Technikkommunikation der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.
Mit der Energie der Sonne
Die drei Autoren verstehen ihr Werk als Diskussionsbeitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung der Zukunft. Sie wollen dazu beitragen, ein breites Publikum für die künstliche Fotosynthese zu interessieren. Allerdings ist der Stil in weiten Teilen so fachnah, dass es Laien schwerfallen dürfte, allen Ausführungen zu folgen. Ein wenig Hilfe bietet der vorangestellte »Leitfaden zum Buch«, der zu jedem Kapitel eine kurze Zusammenfassung präsentiert. So lassen sich gezielt einzelne Kapitel lesen, statt das gesamte Buch von vorn bis hinten durchzuarbeiten.
Die ersten fünf von insgesamt neun Kapiteln führen zum Thema hin. Sie befassen sich ausführlich mit der aktuellen Energieversorgung Deutschlands und der Welt sowie den daraus resultierenden Problemen; mit historischen, literarischen und künstlerischen Visionen zur künstlichen Fotosynthese sowie mit den biochemischen Prozessen bei der natürlichen Fotosynthese. Bereits hier wird deutlich: Mit Hilfe der künstlichen Fotosynthese lassen sich aus Wasser und Kohlenstoffdioxid direkt Energieträger wie Wasserstoff, Methan oder Flüssigbrennstoffe gewinnen – ohne den Umweg über Biomasse und ohne den Einsatz elektrischer Energie. Auch andere Produkte sind denkbar, etwa die Erzeugung von Ammoniak unter Einbeziehung des Luftstickstoffs. Ammoniak ist ein wichtiger Ausgangsstoff für die chemische Industrie.
Der große Vorteil der künstlichen Fotosynthese gegenüber der Fotovoltaik wäre, dass die Sonnenenergie nicht elektrisch gespeichert, sondern unmittelbar zur Erzeugung von Brennstoffen genutzt würde. Diese ließen sich genauso wie die bisher genutzten fossilen Energieträger lagern, transportieren und einsetzen und hätten somit das Potenzial, diese zu ersetzen, ohne dass dazu eine völlig neue Infrastruktur aufgebaut werden müsste.
Freilich erfordert das geeignete Materialien und Katalysatoren für die einzelnen Teilschritte der Fotosynthese. Zunächst gilt es, das Sonnenlicht mit entsprechenden Farbstoffen oder Halbleitern einzufangen. Die Lichtabsorption führt zu einer Ladungstrennung, die wiederum nachfolgende Prozesse antreibt: Oxidation des Wassers zu Sauerstoff und Wasserstoffionen, Bildung von molekularem Wasserstoff, Reduktion von Kohlenstoffdioxid zu Kohlenstoffverbindungen wie Methan. Um diese Teilschritte und ihre Voraussetzungen dreht sich Kapitel 6, eines von nur zwei in dem Buch, die sich mit der tatsächlichen Umsetzung künstlicher Fotosynthese-Systeme beschäftigen. Deutlich zeigt sich hier, wie wichtig die Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen ist: Die Grundlagen für die meisten Einzelprozesse sind bereits gelegt, doch um zukunftsfähige Gesamtlösungen zu entwickeln, ist das Wissen sowohl aus Physik, Chemie, Biologie, Ingenieur- als auch aus Materialwissenschaften gefragt.
An funktionierenden technischen Anlagen für die künstliche Fotosynthese mangelt es noch, wie sich dem Buch entnehmen lässt. Kapitel 7 stellt beispielhaft Modellprojekte vor, darunter Prototypen eines künstlichen Blatts sowie Forschungsansätze, um herkömmliche Fotovoltaikmodule mit Elektrolysezellen zur Wasserstofferzeugung koppeln. Auch wenn solche Projekte die generelle Machbarkeit belegen, sind sie noch weit entfernt von einem wirtschaftlichen Dauerbetrieb.
In den beiden abschließenden Kapiteln plädieren die Autoren dafür, die Öffentlichkeit frühzeitig in die Entwicklung der künstlichen Fotosynthese einzubeziehen, und listen auf, was zu tun ist, um fossile Brennstoffe in absehbarer Zeit zu ersetzen. Auch wenn das Buch eher Leser(innen) mit Vorkenntnissen anspricht, eröffnet es spannende Perspektiven auf eine neue Technologie, die zum Gelingen der Energiewende beitragen könnte. Es zeigt Möglichkeiten auf, ohne die Schwierigkeiten zu verschweigen.
Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer Science+Business Media gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.
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