Dokumente der Zerstörung
Eins ist klar, und doch vergisst man es beim Vertiefen in das Buch leicht: Die Hauptleidtragenden der Konflikte sind die betroffenen Menschen, die unter Waffengewalt, Vertreibung und den Folgen von kollabierenden öffentlichen Strukturen leiden.
Doch die Autoren lenken den Blick auch auf andere Schrecken, die Kriege mit sich bringen: Es sind Bilder und Berichte wie diese, die kulturell und geschichtlich interessierte Menschen ebenfalls bewegen und mit einer Gefühlsmischung aus Fassungslosigkeit, Trauer und Wut zurücklassen. In einem schockierenden Maß dokumentieren die Beiträge des Buchs, was mit archäologischen Zonen, Denkmälern, Museen und Bibliotheken passiert, wenn in Krisenregionen die Zentralgewalt keinen Schutz mehr liefern kann.
32 Beispiele aus 30 Jahren
Das internationale Autorenteam, bestehend aus Wissenschaftlern und Spezialisten vor Ort, hat dazu 32 Fallbeispiele aus dem Nahen Osten und Nordafrika gewählt – konkret geht es um Syrien, Irak, Jemen, Ägypten und Libyen. Die Berichte stammen aus den letzten 30 Jahren, einer Epoche geprägt durch Ereignisse wie den Zweiten Golfkrieg, den Arabischen Frühling und die IS-Herrschaft bis zum andauernden Bürgerkrieg in Syrien, Jemen und Libyen.
In kurzen Aufsätzen beschreiben die Autorinnen und Autoren meist den Status vor dem Konflikt sowie die Situation danach. Die Verwüstungen und Verluste werden zudem in mehr als 400 Bildern dargestellt. Die jeweiligen Artikel sind auf Deutsch geschrieben, das Buch hält jedoch auch eine Zusammenfassung auf Englisch und Arabisch bereit.
Obwohl die Orte, Akteure und die Zusammenhänge wechseln, sind die Geschehnisse vergleichbar, und so ziehen sich mehrere ähnliche Ereignisstränge durch das Buch: Museen, Bibliotheken und historische Denkmäler werden geplündert, neben dem gezielten Raub von Kunstgegenständen werden die Gebäude bis auf die Bausubstanz ausgeschlachtet. Zudem nutzen die Kriegsparteien archäologische Funde und unterstützen Raubgrabungen, um ihre Kampagnen zu finanzieren. Darüber hinaus werden Grabungen, Museen und Kultureinrichtungen bei Kampfhandlungen zerstört. Mobs legen Feuer in Archiven und Bibliotheken und extremistische Gruppen zerstören Kulturgüter als medienwirksames Event.
Auch die zu den Texten gehörenden Bilder vermitteln ähnliche Inhalte: verwüstete Museen, geköpfte Statuen, Satellitenbilder mit Raubgrabungskratern oder Fahndungslisten von Interpol, die gestohlene Archäologika gleich Steckbriefen zeigen. Doch obgleich die Kapitel oft sehr ähnlich sind, schockieren sie jedes Mal erneut, indem sie die Verluste für Wissenschaft und Gesellschaft aufzeigen.
Daneben gibt es auch abweichende Beiträge, in denen die Verfasser beispielsweise Raubgräber interviewen, das finanzielle Potenzial einer archäologischen Stätte schätzen oder die Propagandavideos des IS analysieren. Neben diesen schrecklichen Bereichen machen die Darstellungen aber auch Hoffnung. Sie zeigen, wie Privatpersonen und offizielle Vertreter die Kulturgüter schützen und Artefakte in Sicherheit bringen konnten.
Zwischen den Zeilen wird zudem deutlich, wie einfach der Handel mit Archäologika ist. Interpol, die lokalen Autoritäten sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen durchforsten die sozialen Netzwerke auf der Suche nach gestohlenen Kunstgegenständen – leider selten mit Erfolg. Ebenso zeigen die Aufsätze, dass der finanzielle Wert bei den Menschen vor Ort sehr wohl bekannt, der ideologisch-identifikatorische Charakter mit der eigenen Geschichte jedoch bisweilen extrem wenig vorhanden ist.
Insgesamt fragt man sich, an wen das Buch sich eigentlich richten soll. Laut Vorwort soll es zwar die breite Öffentlichkeit ansprechen – ob das durch die vielen Wiederholungen und bei diesem speziellen Thema gelingt, wird sich zeigen. Doch als aufrüttelnde Präsentation der Situation eignet es sich in jedem Fall.
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