Teamwork überall
Wer die Nachrichten verfolgt, kann angesichts des egozentrischen Verhaltens, das Menschen überall zu zeigen scheinen, verzweifeln. So scheint es manchmal auch dem Wissenschaftsjournalisten Volker Arzt zu gehen, der aus der ZDF-Reihe »Querschnitt« bekannt ist. Zu Beginn dieses Buchs bringt er Beispiele für eigennütziges Verhalten, berichtet von einseitigen Handelsverträgen, ausbeuterischen Tarifabkommen und betrügerischer Abgasreinigung. Ist sich also jeder selbst der Nächste, und ist dieser Eigennutz in der Natur gang und gäbe, wie es der »Kampf ums Dasein« vermuten lässt?
Nein, meint der Autor und zeigt eindrücklich, dass es in der Natur zahlreiche Formen der Zusammenarbeit und Kooperation bis hin zur Selbstlosigkeit gibt. Dabei erklärt er, warum an der Redewendung »Blut ist dicker als Wasser« aus biologischer Sicht etwas dran ist – denn Selbstlosigkeit tritt besonders häufig unter Verwandten auf. Beispielhaft hierfür nennt Arzt die Zwergmangusten, kleine Verwandte der Erdmännchen, die in sozialen Verbünden in den Savannen und Buschländern des südlichen Afrikas leben. Nur einem einzigen dominanten Pärchen der Gruppe ist es erlaubt, sich fortzupflanzen. Dennoch kümmern sich alle anderen scheinbar selbstlos um den »fremden« Nachwuchs. Möglicherweise lässt sich das damit erklären, dass alle Gruppenmitglieder miteinander verwandt sind. Als weiteres Beispiel führt der Autor soziale Insektenstaaten wie Bienen- und Ameisenvölker an. Die beinahe schon aufopferungsvolle Selbstlosigkeit von deren Arbeiterinnen hat möglicherweise mit den ungewöhnlichen genetischen Verwandtschaftsverhältnissen der Tiere zu tun, bei denen sich die Schwestern genetisch ähnlicher sind als Tochter und Mutter.
Pilze als begehrte Partner
Aber nicht nur unter Verwandten gibt es gegenseitige Hilfe. So schildert Arzt, wie Blut saugende Vampirfledermäuse ihren nicht verwandten Artgenossen etwas von ihrer eigenen Blutausbeute abgeben, wenn die mal leer ausgegangen sind. Das tun sie allerdings nur, wenn eine solche Tat auf Gegenseitigkeit beruht – ganz nach dem Prinzip »wie du mir, so ich dir«. Dieses Prinzip scheint in der Natur allgegenwärtig zu sein: Das Buch präsentiert zahlreiche Fälle, wo es auch über Artgrenzen hinweg zu Kooperationen, so genannten Symbiosen, kommt – in diversen Spielarten zwischen Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Mikrobenspezies. Exemplarisch erzählt Arzt von Ameisen, die sich als »Leibgarde« von Akazienbäumen verdingen, und berichtet, dass zwischen 80 und 90 Prozent aller Pflanzen mit Pilzen zusammenarbeiten, um besser an Wasser und Mineralien zu kommen sowie per »Pilznetzwerk« mit anderen Pflanzen zu kommunizieren. »Ohne Symbiose-Deals wäre das Leben auf der Erde arm und öde; es gäbe weder Pflanzen noch Tiere und schon gar keine Menschen«, schlussfolgert der Autor. Genaue Zahlen, wie viele Symbiosen insgesamt bekannt sind, nennt er nicht.
Arzt schreibt unterhaltsam, bildhaft, lebendig und bringt umfangreiches Fachwissen ein. Zu den meisten Beispielen enthält sein Buch entsprechende Farbfotos, die die jeweiligen Akteure zeigen. Komplexe Zusammenhänge erklärt der Wissenschaftsjournalist gut. Nicht optimal erscheint, dass die wissenschaftlichen Publikationen, auf die er sich bezieht, manchmal in den Fußnoten aufgeführt sind, manchmal aber auch nicht. Und stellenweise häufen sich die Beispiele, was zwar einerseits zeigt, wie zahlreich Kooperationen in der Natur auftreten, andererseits aber zu Lasten der Stringenz geht.
Der Autor bezieht sich immer wieder auf Menschen; denkt etwa darüber nach, inwieweit die Redewendung »Blut ist dicker als Wasser« auch für uns gilt und inwieweit wir mittels Zusammenarbeit dem Klimawandel entgegentreten könnten. Dies macht das Buch einerseits interessant, da die vom Autor aufgeworfenen Fragen zum Nachdenken anregen, ist aber zugleich aus wissenschaftlicher Sicht schwierig, da hier verschiedene Dinge zueinander in Bezug gesetzt werden.
Am Ende seines Werks unternimmt Arzt noch einen interessanten Ausflug zu unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Hier gibt es zwei Arten, mit denen wir gleichermaßen eng verwandt sind: die Gemeinen Schimpansen und die Bonobos. Die einen zeigen ein eher aggressives Verhalten, während die anderen als weitgehend friedfertig gelten. Der Autor erörtert die Frage, wie es zu diesen Verhaltensunterschieden kommt.
Zusammenfassend resümiert der Wissenschaftsjournalist, dass die Natur erstaunlich viele Wege zu Kooperation und gegenseitiger Hilfe gefunden habe, was sich in unterschiedlicher Form in Familien, Symbiosen und in höheren Kooperationen zeige, die mit Bewusstsein und Gefühlen verbunden sind. Er meint, »wer auf das ›unerbittliche Gesetz der Natur‹ verweist, wonach jeder sich selbst der Nächste sei, der hat wenig von der Natur begriffen«, und richtet einen Appell an seine Leser, sich »am Prinzip der Gegenseitigkeit zu orientieren, da die Natur das seit eh und je praktiziert«.
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