Akzeptieren heißt nicht aufgeben
Was tun gegen Stress, Schmerzen, Ängste und Beziehungskrisen? Sie akzeptieren, sagt Steven Hayes. Der US-amerikanische Psychologe und Professor an der University of Nevada in Reno litt lange unter Panikattacken. Diese persönliche Krise ließ ihn umdenken. Da ihm gängige Psychotherapiemethoden nicht halfen, entwickelte er in den 1990er Jahren selbst eine neue: die Akzeptanz- und Commitment-Therapie, kurz ACT. Es ist kein Zufall, dass die Abkürzung auf Englisch wie ein Aufruf zum Handeln klingt. Die Idee: Wir sollen die Schattenseiten des Lebens annehmen, statt permanent dagegen anzukämpfen. Denn was wir tun, um den Schmerz zu lindern (etwa Ablenken oder Verdrängen), erzeugt oft selbst Leid, so Hayes.
Wir sind nicht unsere Gedanken
Sein Glücksrezept: bewusst Lebensziele verfolgen, die sich an eigenen Werten orientieren – und danach handeln. Den Schlüssel zu all dem nennt er »psychische Flexibilität«. Die soll uns dazu verhelfen, den Blick mit Neugierde und Nachsicht auf das zu richten, was uns Unbehagen bereitet, statt uns krampfhaft davon abzuwenden – im Grunde die Kernidee der Achtsamkeit. Laut Hayes helfen sechs Techniken dabei, den mentalen Spielraum wiederzuentdecken. Die wichtigste: die »kognitive Defusion«. Dabei betrachtet man die eigenen Gedanken mit Abstand. Es sei heilsam, zu erkennen, dass das, was der Verstand uns einflüstert, nicht objektiv wahr ist.
Das Buch richtet sich als praktischer Ratgeber an Laien und liefert in einem der 21 Kapitel auch eine Lektion in Psychotherapiegeschichte: von den frühen Anfängen der Psychoanalyse über humanistische Ansätze bis zur so genannten dritten Welle der Verhaltenstherapie, wozu unter anderem die Akzeptanz- und Commitment-Therapie und die Schematherapie zählen.
Hayes’ Werk gibt einen umfassenden Einblick in die Entstehung und die Idee hinter der ACT, ist allerdings stellenweise etwas langatmig. Ist die Begeisterung ihres Erfinders, die man auf jeder Seite spürt, überhaupt begründet? Eine Metaanalyse von Psychologen um Kate French kam 2017 anhand von 13 Studien zum Thema zu folgendem Ergebnis: Interventionen aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie wirken auch als Selbsthilfe – etwa als Buch oder App. Der Effekt auf Depressionen und Ängste war eher klein, aber signifikant. Von einem entsprechend geschulten Psychotherapeuten angewandt, kann ACT mit anderen Formen der Verhaltenstherapie mithalten. Die meisten Studien zeigen jedoch, dass die aktuell beliebten Verfahren der dritten Welle einer klassischen kognitiven Verhaltenstherapie nicht überlegen sind. Der Hype ist also nur zum Teil berechtigt. Wer sich von ACT und der dahinterstehenden Philosophie jedoch angesprochen fühlt, hat damit durchaus Erfolgschancen. Um das Verfahren einmal selbst auszuprobieren, kann der Ratgeber ein guter Startpunkt sein.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.