Sieg über "Gevatter Tod"?
Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist alt. Schon die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alchemisten suchten nach dem »Lebenselixier«, gefördert von der naiven Gutgläubigkeit ihrer Geld- und Auftraggeber. Den Wunsch gibt es heute noch, doch die Methoden, mit denen man an seiner Erfüllung arbeitet, sind andere. Im vorliegenden Buch zeigt der Biologe Norbert Welsch, welche Möglichkeiten die moderne Wissenschaft eröffnet, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Hierfür fasst er Alterungserscheinungen als Krankheit auf und gibt einen aufschlussreichen Überblick über aktuelle Konzepte der Alternsforschung.
Manche Lebewesen erreichen ein weit höheres Alter als der Mensch: Riesenschildkröten können mehr als 200 Jahre alt werden, die Lebenserwartung von Islandmuscheln wird auf 500 Jahre geschätzt. Daraus leitet Welsch die These ab, auch beim Menschen sei eine deutlich längere Lebensspanne möglich. An mehreren Beispielen zeigt er, dass Alterungsprozesse genetisch bedingt zu sein scheinen. So ist die Lebenserwartung von Kindern, deren Eltern ein hohes Alter erreichen, ebenfalls groß. Gleiches scheint für Kinder zu gelten, deren Väter sie erst spät im Leben gezeugt haben. Weitere Einblicke in Alternsprozesse gibt die Erforschung von Krankheiten wie der vorzeitigen Vergreisung von Kindern (Progerie) und Erwachsenen (Werner-Syndrom).
Mit jeder Zellteilung dem Ende näher
DIE eine Ursache der Alterung scheint es allerdings nicht zu geben. Vielmehr setzen heutige Erklärungsversuche an verschiedenen Stellen an: bei möglichen Einflüssen des Immunsystems, der Stoffwechselrate in Körperzellen, der Quervernetzung von Biomolekülen, der Wirkung reaktionsfreudiger chemischer Spezies und der Häufung irreparabler DNA-Schäden im Zuge von Zellteilungen. Besondere Bedeutung kommt dabei den so genannten Telomeren zu. Denn diese "Endkappen" linearer Chromosomen werden mit jeder Zellteilung ein Stückcken kürzer, bis sie so kurz sind, dass die Zelle sich nicht weiter teilen kann und entweder in einen Wachstumsstopp (Seneszenz) oder in den programmierten Zelltod (Apoptose) eintritt. Die Telomerlänge zeigt damit den Fortschritt des individuellen Alterungsprozesses an.
Häufig geht die Alterung des Körpers mit Erkrankungen einher. Welsch weist darauf hin, dass Alzheimer- oder Krebssymptome seltener auftreten, wenn Zellen unspezifisch gegen Alterungserscheinungen behandelt werden. Ein Hinweis darauf, dass die einzelnen am Altern beteiligten Prozesse über zelluläre Mechanismen miteinander verbunden sind. Mögliche Behandlungsansätze beim "Krankheitsbild Alter" sieht Welsch in medikamentösen Therapien, der Zellverjüngung durch Stoffe, die über jüngeres Blut übertragen werden können, in genetischen Eingriffen oder einer Stammzelltherapie. Allerdings warnt er vor überzogenen Erwartungen sowie vor angeblich jung erhaltenden "Wunderstoffen", da das Altern sehr wahrscheinlich multikausal verursacht ist.
Die Erde bietet nur begrenzten Platz
Sollte es eines Tages tatsächlich gelingen, die menschliche Lebenszeit sehr stark zu verlängern, wird das schwer wiegende ethische, soziologische und politische Folgen nach sich ziehen. Diesen ist das letzte Buchkapitel gewidmet. Es wirft Fragen nach der möglichen und erlaubten Kinderzahl auf und ebenso danach, wie viele Menschen unser Planet eigentlich verträgt. Auch weist der Autor auf die Möglichkeit hin, dass künftig Parallelgesellschaften aus lang- beziehungsweise kurzlebigen Menschen entstehen könnten. Leider reißt er diese Probleme nur oberflächlich an. Angesichts der immensen gesellschaftlichen Relevanz des Themas wäre eine detailliertere Darstellung wünschenswert gewesen.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt auf der einschlägigen naturwissenschaftlich-medizinischen Forschung. Es gelingt Welsch, das komplexe Thema Altern verständlich darzustellen, allerdings sollte man als Leser biochemische Grundkenntnisse mitbringen. Die Lektüre lohnt sich – unabhängig davon, wie man selbst zu einer möglichen Lebensverlängerung steht. Denn das Buch macht mit Forschungsansätzen vertraut, die vielleicht einmal die Grundfesten der bislang bekannten Welt erschüttern werden.
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