Wie die Deutschen sind
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs marschierten zehntausende britische Soldaten in Deutschland ein. Im Gepäck hatten sie einen Leitfaden ihres Außenministeriums, der sie auf die Besatzung vorbereiten sollte. Darin wird erörtert, was für Menschen die Deutschen sind – wie sie denken, welche Gewohnheiten sie haben und wie am besten mit ihnen umzugehen sei. Das Büchlein warnte vor einem "merkwürdigen Volk" und hat die Sicht der Briten auf unser Land stark geprägt. Viele Einschätzungen, zu denen die Autoren damals kamen, dürften noch heute verbreitet sein.
An einer Stelle heißt es: "Über die Brutalität der Deutschen gibt es nicht mehr viel zu sagen (…) Aber es mag Ihnen merkwürdig vorkommen, dass die Deutschen zugleich sentimental sind. Sie lieben melancholische Lieder. Sie neigen zu Selbstmitleid. Selbst kinderlose alte Ehepaare bestehen auf ihrem eigenen Weihnachtsbaum." Diese Mischung aus Sentimentalität und Gefühlskälte, schreiben die Autoren weiter, zeuge nicht von einem ausgewogenen Selbstbewusstsein. Zudem hätten die Deutschen ihre Gefühle nicht gut im Griff. "Sie werden feststellen, dass Deutsche häufig bereits in Wut geraten, wenn auch nur die kleinste Kleinigkeit danebengeht."
Viele Passagen lassen einen schmunzeln. "Die Deutschen treiben erst seit den letzten dreißig Jahren Sport, sind aber eifrig dabei", ist da zu lesen. "Die meisten Sportarten lernten sie von uns." Fußball sei das beliebteste Spiel, werde aber nicht so kämpferisch ausgetragen wie in Großbritannien. "Härte gilt als Foul." Das Buch wirft auch ein Schlaglicht auf die hiesige Küche ("Die Deutschen wissen nicht, wie man Tee zubereitet, aber sie verstehen durchaus etwas von Kaffee") und warnt vor Hochprozentigem ("Seien Sie vorsichtig mit Schnaps").
Naturgemäß rückt der Band die deutschen Kriegsverbrechen und die Naziideologie in den Mittelpunkt. Er sollte die Truppen vor dem Einfluss deutscher Propaganda immunisieren; auch wirkte er darauf hin, die Kontakte zwischen Besatzern und Besetzten auf ein Minimum zu reduzieren – eine Haltung, die bei den britischen Soldaten selbst nicht immer Zustimmung fand und später gelockert wurde. Dennoch ist der Text angesichts der Umstände – er erschien mitten im Krieg – von erstaunlicher Fairness geprägt. Der Tenor lautet: Die Deutschen müssen sich ihrer Verantwortung stellen, sie haben aber auch viel erlitten und müssen in die Lage versetzt werden, ihr Land in Ordnung zu bringen. Insofern ist das Werk ein faszinierendes historisches Dokument.
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