»Lückenleben«: Wenn Alzheimer in eine Familie einbricht
Etwa fünf Jahre lang bestimmt der Alltag mit einem Mann und Vater, der zunehmend vergisst, wer er ist und wie die Welt funktioniert, das Leben seiner Familie. Bis er stirbt und eine Lücke hinterlässt; die Lücke, um die es der Journalistin Katrin Seyfert in ihrem Buch geht.
Sie zeichnet ein Bild ihres Mannes, wie es nur jemand vermag, der aus tiefstem Herzen liebt. Auch von ihren Kindern und manchen Wegbegleitern schwärmt sie, bewundert ihren Umgang mit all den Umstellungen und Herausforderungen, welche die Krankheit mit sich bringt. Die Musikabende, die sie gemeinsam mit Freunden für ihren Mann veranstaltete, oder eine Bilderserie zur Holzkunst ihres Mannes, die eine Nachbarin erstellte, zeugen von Einfallsreichtum und Resilienz im Umfeld des Erkrankten. Die Ideen sind unkonventionell – und geben dem Betroffenen und seiner Familie ein Stück Selbstbestimmung zurück.
Wut auf Konventionen
Neben vielen positiven Eindrücken findet sich in diesem Buch auch – mitunter harsche – Kritik: am Gesundheitssystem sowie an der Gesellschaft insgesamt, vor allem aber an einzelnen Personen. Das führt leider dazu, dass sich der Text stellenweise wie eine Abrechnung mit all jenen liest, die der Autorin in einer schwierigen Zeit nicht so begegnet sind, wie sie sich das gewünscht hätte; etwa mit einem Freund aus Studienzeiten, der sie drei Monate nach dem Tod ihres Mannes fragt, in welcher der von der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross beschriebenen Phasen der Trauer sie sich gerade befinde. Ihre Antwort – ob tatsächlich ausgesprochen oder nur gedacht, bleibt offen – lautet: »In b). Wütend. WÜTEND. Aber nicht wegen Marc, sondern wegen dieser Scheiß-Einteilung, dass ich jetzt gerade wütend zu sein habe, weil es dann dir und deinem biederen Weltbild besser passt. […]« Darauf folgen kritische Aussagen in Bezug auf Kübler-Ross und ihr Modell der Trauerphasen, in das sie sich keinesfalls einordnen lassen will, schon gar nicht von besagtem Studienfreund.
Seyfert bäumt sich gegen Konventionen auf, etwa dagegen, dass man diskret leiden solle. Auch gesellschaftliche Erwartungen dazu, wie man sich als Witwe zu verhalten und zu trauern habe, lehnt sie ab. Sie zerpflückt einzelne Wörter, will nicht »tapfer« genannt werden, sondern lieber »mutig, respektlos, von mir aus verbissen«. Das Schreiben stellt für sie nach eigener Aussage einen Weg dar, ihrer Trauer eine Form zu geben. Diese Form ist höchst persönlich und in ihrer Subjektivität natürlich bestechend. Jedoch bleibt so die Frage offen: Wäre es für andere, die sich in der gleichen Situation befinden, nicht hilfreicher gewesen, wenn Seyfert versucht hätte, ihre Erfahrungen etwas stärker zu objektivieren? Aus der Position der Stärke heraus, die sie, so scheint es, über den Kampf gegen diverse Konventionen erreicht hat, hätte sie anderen Betroffenen vielleicht Mut zusprechen können; den Mut, den jede und jeder braucht, wenn das Schicksal droht, eine Lücke in das eigene Leben zu reißen, oder es bereits getan hat.
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