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»Mach das Internet aus, ich muss telefonieren«: Humorvolle Nostalgietour in die 1990er

Eine amüsante Lektüre von den ersten Zeiten des Internets und den 1990er Jahren – von Modems über Tamagotchis bis zu den Anfängen der Tech-Konzerne.
Schreibtisch mit frühem Computer, Disketten und Drucker

Das Piepsen und Knarzen des 56K-Modems, der Benachrichtigungston von ICQ, die Melodie von Tetris: Für viele Kinder der 1990er werden allein beim Gedanken an diese Geräusche Erinnerungen wach. Der Journalist und Politikwissenschaftler Adrian Lobe versetzt seine Leserschaft mit seinem Buch zurück in die Anfangszeit des World Wide Web. Humorvoll und fachkundig erzählt er, wie das Internet langsam Einzug in die deutschen Haushalte hielt, wie die Politik darüber diskutierte, ob »Datenautobahnen« nicht Ländersache sein müssten, und wie frühe Messenger-Dienste nicht nur die Sprache, sondern auch das Lebensgefühl einer Generation prägten.

Immer wieder streut Lobe dabei Referenzen zu Alltagsroutinen, Fernsehsendungen und Prominenten der 90er ein. Wer ebenso wie der 1988 geborene Autor mit 4YOU-Rucksack und Tamagotchi aufgewachsen ist, die ersten Staffeln von Big Brother und Deutschland sucht den Superstar mitverfolgt hat und noch die Stimme des jungen Boris Becker im Ohr hat, der in einem AOL-Werbespot verkündet »Ich bin drin«, der kann mit Hilfe des Buches in Kindheits- und Jugenderinnerungen schwelgen. Auch bei älteren Generationen wird das Buch Erinnerungen wecken.

Für Digital Natives dagegen muss vieles tatsächlich steinzeitlich wirken. Wer unterwegs telefonieren wollte, musste vor einer Telefonzelle Schlange stehen und seine Pfennige und D-Mark für ein Orts- oder Ferngespräch zusammenkratzen; Filme gab es nicht bei Netflix, sondern im linearen Fernsehen oder beim örtlichen Videoverleih; und das Internet bot kaum mehr als der damals noch verbreitete Videotext und war zudem, wie der Autor schreibt, teurer als die Sexhotline.

Den Begriff »digitale Steinzeit« nutzt Lobe jedoch nicht nur, um auszudrücken, wie urtümlich uns heute der technische Stand der 1990er scheinen mag. Im Vorwort des Buches schreibt der Autor, dass er sich bei den Recherchen zur Frühzeit des Internets oft tatsächlich wie ein Hobby-Archäologe fühlte, der Fragmente aus der Altsteinzeit zusammenträgt – denn entgegen der Mahnung »Das Internet vergisst nichts« ist erstaunlich wenig aus den ersten Jahren des World Wide Web erhalten geblieben. Von der ersten Webseite, die 1991 online ging, existieren nur noch zwei Jahre später aufgenommene Screenshots, und was der erste Wikipedia-Artikel war, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. SchülerVZ- und StudiVZ-Profile gingen mit der Abschaltung dieser Dienste ebenso verloren wie zahlreiche alte Chatverläufe.

Doch trotz lückenhafter Aufzeichnungen hat Lobe zahlreiche interessante, oft unterhaltsame Fakten ausgegraben, etwa zur Anfangszeit großer Tech-Konzerne. Er schildert, wie Amazon-Gründer Jeff Bezos seine ersten Server in der heimischen Garage betrieb und dabei so viel Strom verbrauchte, dass man im Haus nicht mehr den Staubsauger anschalten konnte, ohne dass die Sicherung rausflog. Und wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales mehrfach versuchte, in seinem eigenen Eintrag zu verbergen, dass er seine Online-Enzyklopädie ursprünglich mit einer Softpornoseite querfinanziert hatte.

Leider enthalten manche Informationen kleine Fehler – etwa falsch angegebene Platzierungen der Kandidaten bei Deutschland sucht den Superstar, aber auch ungünstige Jahreszahlenverwechslungen. So gab es laut dem Buch angeblich schon im Oktober 2000 rund hundert Wikipedia-Einträge zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dem Lesevergnügen tut das allerdings kaum Abbruch. Ein ausführliches Quellenverzeichnis ermöglicht zudem, alle Informationen genau nachzuvollziehen.

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