»Mächte und Throne«: Der Heilige im Pökelfass
Im 9. Jahrhundert n. Chr. trug sich im muslimischen Kairo eine seltsame Geschichte zu. Vorbei war schon die Zeit, in der Ägypten unter christlicher Oberhoheit stand. Allerdings gab es in diesem Land einige bedeutende christliche Kostbarkeiten, die nach der Ansicht von zwei Venezianern besser in einem Land aufgehoben gewesen wären, das nicht von Muslimen beherrscht wurde. So beschlossen die beiden, die Gebeine des Heiligen Markus zu stehlen. Der Heilige Markus ist niemand Geringer als der, der das nach ihm benannte Evangelium geschrieben hat.) Der Diebstahl gelang. Doch nun stellte sich die Frage, wie man diese Gebeine außer Landes schaffen sollte. Die Venezianer kamen auf eine außergewöhnliche Idee: Sie versteckten die Knochen in einem Fass mit gepökeltem Schweinefleisch, wohl wissend, dass die muslimischen Zöllner ein Fass mit Schweinefleisch aus religiösen Gründen nicht so genau untersuchen würden.
Die List funktionierte. Die Gebeine des heiligen Markus wurden sicher nach Venedig gebracht und liegen bis heute im berühmten Markusdom. Ob der Besitz der Knochen tatsächlich dazu geführt hat, dass Venedig einige Jahrhunderte später zu einer führenden Handelsmacht im Mittelmeer wurde, sei dahingestellt; allerdings beleuchtet diese Geschichte brennpunktartig verschiedene Aspekte und Konfliktlinien des Mittelalters, die auch noch heute das Interesse an dieser Epoche prägen.
Zum einen dokumentiert die Geschichte der beiden Venezianer den beginnenden Machtkampf zwischen muslimischer und christlicher Welt um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum. Zum anderen wirft diese Begebenheit einen Blick auf die italienischen Hafenstädte, die im späteren Mittelalter wahrhafte Handelsimperien in dieser Region aufbauen konnten. Und zuletzt verweist diese Episode auf einen interessanten Aspekt der Religiosität in dieser Epoche: nämlich den sich immer weiter verstärkenden Glauben an die Wundertätigkeit von Reliquien. Dieser Glaube wurde massiv von Martin Luther kritisiert, der heute wie kein anderer durch die von ihm ausgelöste Reformation für das Ende des Mittelalters steht.
Der Blick über Europa hinaus
Der Historiker Dan Jones hat mit seiner Geschichte des Mittelalters ein Buch vorgelegt, das man schon immer einmal lesen wollte – nämlich einen kompakten Überblick über eine Zeit, die auch gerne als das »dunkle Zeitalter« (zumindest in Teilen) bezeichnet wird. Natürlich ist es mit fast 800 Seiten ein sehr dickes Buch geworden, aber seine Stärke liegt darin, dass man mit ihm tatsächlich eine fundierte Monografie durch die wechselvolle Geschichte Europas vom Ende des Weströmischen Reichs bis zur Reformation in den Händen hält. Besonders gefällt in der Darstellung, dass auch die Reiche außerhalb Europas in ihrer Bedeutung für die Entwicklung Europas ausführlich in den Blick genommen werden. Die Kapitel über die Geschichte Arabiens und die Entstehung des Islams sowie über die Expansion des Mongolischen Reichs bieten wichtige Hintergrundinformationen, um die historischen Konflikte besser zu verstehen.
Bemerkenswert ist zudem, dass auch der Geschichte der Byzantiner mit dem Kaiserpaar Justinian und Theodora ein eindrückliches Kapitel – vom Glanz des immensen Reichtums bis hin zur Katastrophe der Beulenpest – gewidmet ist. Der Aufbau des Buches ist sehr durchdacht. Die Zeit von 410 bis 1527 ist in vier Abschnitte aufgeteilt, und innerhalb dieser Abschnitte finden sich die thematischen Schwerpunkte, welche die jeweiligen Epochen prägten. In Teil 2 (circa 750 bis 1215) zum Beispiel gibt der Autor zuerst einen Überblick über die Geschichte der Franken bis zur Ankunft der »Nordmänner«.
Daneben ist für diese Zeit die Genese des Mönchtums prägend, die im nächsten Kapitel erzählt wird. Anschließend folgt die Geschichte des Rittertums mit einer interessanten Betrachtung über »El Cid«. Der Ritter »El Cid« dürfte vielen bekannt sein durch den gleichnamigen Film mit Charlton Heston und Sophia Loren in den Hauptrollen; vielleicht bietet die Lektüre eine gute Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und sich diesen Abenteuerfilm (noch einmal) anzusehen! Die Geschichte der Kreuzzüge beendet diesen Teil mit einem knapp 60-seitigen Kapitel, was der durchschnittlichen Länge der einzelnen Kapitel in ihrer Gesamtheit entspricht.
Diese Anlage des Buches ermöglicht es dem Leser, sowohl einzelne Kapitel des Buches gesondert zu lesen, um eine gediegene Grundinformation über historische Genesen zu bekommen, als auch – sollte das Buch im Ganzen gelesen werden – einen umfassenden Überblick über diese elf Jahrhunderte andauernde Epoche der europäischen Geschichte zu erlangen. Darüber hinaus gelingt es Dan Jones, die Kuriositäten der Zeitläufte auf den Punkt zu bringen. Die Geschichte vom »Heiligen im Pökelfass« ist nur ein Beispiel von vielen, die das Buch lesenswert machen.
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