Empathisch und stolz
»Dass wir der Sprache so viel Bedeutung beimessen, ist einfach lächerlich. Es hat dazu geführt, dass wir den stummen Schmerz und das unausgesprochene Bewusstsein zahlreicher Lebewesen viel zu lange ignoriert haben.« Der weltberühmte Primatenforscher Frans de Waal hat ein umfassendes Buch über die Emotionen und die kognitiven Fähigkeiten der Tiere geschrieben. Zugleich ist es ein Plädoyer gegen den strikten Mensch-Tier-Dualismus. Lange war man der Meinung, Tiere würden gar keine Emotionen haben; sie seien reine Reiz-Reaktions-Maschinen. Und wenn man ihnen Gefühle zusprach, dann nur aggressiver, kompetitiver Natur.
Laut de Waal hatte dies vor allem zwei Gründe: das Bedürfnis des Menschen, sich von den Tieren abzugrenzen sowie der Umstand, dass diese nicht von ihren Empfindungen berichten können. Doch es habe sich in den letzten Jahren viel getan in der Forschung – der Autor nennt es eine verspätete Revolution. Trotzdem spricht man auch heute noch von Unterwürfigkeit, Aggression, Überlebenstrieb oder Dominanz, statt von Scham, Wut, Angst oder Stolz. Dabei weist vieles darauf hin, dass Affen, aber auch andere Säugetiere genau das empfinden.
Laut dem Primatologen kommen alle Emotionen, die wir kennen, in einer Form ebenfalls bei anderen Säugern vor – sie unterscheiden sich bloß in ihrer Intensität und ihren Schattierungen. De Waal lässt die Leser an seinen jahrzehntelangen Verhaltensstudien in diversen Primatenkolonien teilhaben, wo er das soziale Leben von Menschenaffen und Makaken in all seinen Facetten erforscht hat. So beschreibt er gleich im ersten Kapitel den Tod der alten Schimpansin und Matriarchin »Mama« im Burgers Zoo in Arnheim. Die rührenden Szenen wie Abschiedsgesten, Trauer und Totenwache sind kaum von menschlichen Verhaltensweisen zu unterscheiden. Für den Autor ist klar: Menschenaffen verfügen über empathisches Mitgefühl. Diese Fähigkeit ist offenbar bei Hunden, Elefanten und Nagetieren ebenso vorhanden, wie er mit zahlreichen Verhaltensbeobachtungen untermauert. Doch natürlich stützt de Waal seine Thesen auch auf eindrucksvolle Experimente etwa zu tierischem Ich-Bewusstsein und der Fähigkeit, in die Zukunft zu planen.
Was die Primatenforschung über den Menschen verrät
Doch er will uns nicht nur etwas über Tiere lehren. Vielmehr reflektieren ihre Fähigkeiten unser eigenes evolutionäres Erbe. Der Altruismus unserer nächsten Verwandten verdeutlicht: Wir sind kein egoistischer Homo oeconomicus, der nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten handelt. Die Vorstellung, dass Lebewesen nur auf Selbstbereicherung gepolt sind, sei eine Verunglimpfung ihrer sozialen Fähigkeiten, findet der Autor. Er schließt sein Buch mit dem eindringlichen Appell, Tiere mit mehr Respekt zu behandeln – schließlich verfügen sie über Lebenswillen, empfinden Schmerzen, Freude und Trauer. Leider scheuen wir uns noch immer davor, ihnen all dies zuzuschreiben: »Doch was, wenn Tiere keine Steine sind? Dann haben wir ein echtes moralisches Problem.«
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