Einsteins braver Freund
Der Name ist Insidern geläufig: Marcel Grossmann (1878–1936) war jener Mathematiker, der seinem Studienfreund Albert Einstein (1879–1955) auf die Sprünge half, als dieser kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs seine allgemeine Relativitätstheorie ausarbeitete und mit dem so genannten Tensorkalkül nicht zurechtkam, jenem formalen Werkzeug, mit dem die Differenzialgeometrie die Krümmung des Raums erfasst. In einer gemeinsamen Arbeit von 1913, "Entwurf einer verallgemeinerten Relativitätstheorie und einer Theorie der Gravitation", schrieb Einstein den physikalischen und Grossmann den mathematischen Teil. Wenig später stellten sich die dort formulierten Ideen als nicht zielführend heraus. Sein bahnbrechendes Werk von 1915 verfasste Einstein allein, allerdings nicht, ohne sich bei seinem Freund zu bedanken.
Grossmanns Enkeltochter Claudia Graf-Grossmann hat die Mühe auf sich genommen, das Leben ihres Großvaters aus Erzählungen und Aufzeichnungen zu rekonstruieren. Dabei entsteht das Bild eines grundsoliden Menschen. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert studiert Marcel Grossmann am Eidgenössischen Polytechnikum, der späteren ETH in Zürich, vor allem Geometrie. Er wird Fachlehrer am Gymnasium und gründet eine Familie, sowie er beruflich etabliert ist. Später übernimmt er den Lehrstuhl seines Züricher Doktorvaters Otto Wilhelm Fiedler, engagiert sich in der Reform der Lehrerbildung, macht sich um die Organisation seines Fachbereichs verdient und genießt als Kollege wie als Familienvater allgemeine Wertschätzung.
Ein wenig sensationelles Dasein
Dramatisch ist Grossmanns Leben in keiner Weise. Seine wissenschaftlichen Leistungen bestehen weitestgehend im Zusammenfassen und didaktischen Aufbereiten der Werke anderer. Seine Beiträge zur allgemeinen Relativitätstheorie, die wohl ohnehin etwas außerhalb seines eigentlichen Arbeitsgebiets liegen, verfolgt er später nur sehr sporadisch weiter. Dabei gerät er auch noch in einen grundsätzlichen Dissens mit Einstein, der zwar die Freundschaft nicht beeinträchtigt, aber nie aufgelöst wird. Relativ jung erkrankt er an multipler Sklerose, die ihn in seiner Schaffenskraft zunehmend beeinträchtigt und seinen frühen Tod herbeiführt.
Selbst die »Bild-Zeitung« hätte größte Schwierigkeiten, aus dieser Biografie eine Schlagzeile zu machen. Was tun, damit doch noch ein Buch draus wird? Grossmanns wissenschaftliche Leistungen etwas detaillierter beschreiben? Das tut der Mainzer Mathematikhistoriker Tilman Sauer in einem ausführlichen Epilog, und der mit Einstein gemeinsam publizierte "Entwurf" ist mit abgedruckt. Aber den versteht nur, wer sich mit dem Formalismus der Differenzialgeometrie auskennt.
Unternehmerische Rangeleien
Die Autorin hat noch einen anderen Weg gefunden. Was des Großvaters Leben an Dramatik vermissen lässt, das bietet des Urgroßvaters Vita umso mehr. Jules Grossmann begibt sich als junger Kaufmann ins aufstrebende Budapest des 19. Jahrhunderts und betreibt dort eine Handelsfirma für Müllereibedarf. Seine große Liebe und erste Ehefrau Amanda stirbt mit nur 22 Jahren. Vier Jahre später heiratet er die Pfarrerstochter Katharina Henriette Lichtenhahn aus Basel, Marcels spätere Mutter. Gemeinsam mit dem Landmaschinenhersteller Johannes Rauschenbach gründet Jules eine Produktionsfirma für Dreschmaschinen; Jahre später verkrachen sich die Kompagnons hoffnungslos; und erst nach langem, quälendem Rechtsstreit bekommt Jules einen Teil seines eingesetzten Kapitals zurück.
So zeichnet das Buch quasi nebenher das lebendige Bild einer ereignisreichen Gründerzeit.
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