»Material World«: Das Material unserer Zukunft: sechs Rohstoffe, die wir brauchen
»Als ich über die knackende Oberfläche ging, wurde mir schnell klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Wenn man über das Salz geht, sollte man gute Handschuhe tragen, denn die Salzfinger sind schärfer als Küchenmesser.« Also stapft Ed Conway nur wenige Schritte über die Salztonebene Salar de Atacama in Chile. Unter der bis zu fünf Kilometer dicken Kruste lagert die so begehrte Salzlake mit hohem Lithiumgehalt. Und Lithium ist das Kernelement der leistungsfähigsten Akkus für energiehungrige Smartphones und E-Autos.
Der Journalist Ed Conway schreibt für »Sky News« und »The Times« und vor allem zu Finanzthemen. In seinem neuen Buch gelingt ihm ein respektabler Überblick über die wichtigsten Rohstoffe der modernen Welt – ihre Gewinnung, ihre Geschichte und ihre Verwendung im Alltagsleben. Die Idee zu diesem Buch kam ihm, so schreibt er, als er eines Tages eine Goldmine in Utah besichtigte. Dort angekommen, war er mächtig beeindruckt, welch immenser Aufwand und welche Umweltzerstörung für die Gewinnung eines Materials betrieben wird, das im Wesentlichen nur als Schmuck und Wertreserve genutzt wird. Also fragte er sich, was wohl alles unternommen werde, um die wirklich wichtigen Rohstoffe zu erschließen.
Sand, Eisen, Salz, Öl, Kupfer und Lithium stuft Conway als Rohstoffe von »zentraler Bedeutung« ein – und er begründet dies schlüssig. Bei einigen leuchtet diese Einschätzung unmittelbar ein. Will man den Klimawandel bekämpfen, müssen fossile Brennstoffe so vollständig wie möglich ersetzt werden. Also braucht man Lithium für Akkus, Kupfer für Stromleitungen und Stahl, Sand und Kupfer für Windturbinen und Solarzellen.
Zutaten der Industrienationen: Salze und Öl
Aber Conway betont auch die bedeutende Rolle von Öl und Salz. Öl benötigt man für die Herstellung von Kunststoffen. Wichtig werden können ebenso Ölalternativen aus Pflanzen, Abfällen oder Kuhdung, die 2025 »das leichte, süße nigerianische Rohöl ersetzen« sollen. Zu den bedeutsamen Salzen zählt Conway nicht nur Natriumchlorid, sondern auch die Salpetersalze, die für Sprengstoffe verwendet werden und damit als Rohstoff für viele Kriege fungieren.
Conway berichtet nicht einseitig. Zwar fällt die Kritik am Ölfracking und der Umweltzerstörung durch die Ölförderung in Nigeria extrem knapp aus. Aber er vergisst ebenso wenig, die menschenunwürdigen Bedingungen des Bergbaus im Kongo zu schildern. Oder die umstrittene Wasserverdunstung bei der Salzgewinnung in der Atacama-Wüste. Dass das kostbare Nass dort in großen Mengen verdunstet, auch wenn es aus einer unterirdischen Lake stammt, verstimmt die Landwirte vor Ort. Und es gelingt Conway, mit zwei Worten eine fragwürdige Sichtweise auf den Punkt zu bringen. Zum Beispiel die der Bergbaukonzerne in der Atacama-Wüste. Deren Salzabbau führt zur Abwanderung der dort lebenden Flamingos. Ein Konzern erklärt dazu lapidar, die Vögel seien nun einmal Nomaden. »Schon klar«, notiert Conway trocken.
Einmal irrt Conway. Der von ihm wahrgenommene schlechte Wirkungsgrad von vermeintlich ineffizienten Elektrolyseuren treibe ihm Tränen in die Augen. Doch das stimmt längst nicht mehr: Die Wasserstofferzeuger erreichen inzwischen beachtliche 60 bis 84 Prozent.
Conway schreibt spannend. Er erschafft lebendige und vielschichtige Bilder, die sich einprägen – etwa wenn er von seinen persönlichen Begegnungen berichtet oder gleichsam mit allen Sinnen schreibt: über die messerscharfen Salzkristalle in der chilenischen Wüste, das grüne Rheinland, das dröhnende Asow-Stahlwerk im ukrainischen Mariupol oder den perfekten Takt der Akkuproduktion in einer Gigafabrik.
»Wird dieses immer wiederkehrende Streben nach Bodenschätzen irgendwann einmal ein Ende finden?«
In diesem ausgezeichnet recherchierten Buch schildert Conway die Geschichte der Grundlagen unserer modernen Zivilisation. Dabei erwähnt er nicht nur Bekanntes. Er stellt auch die Zufälle vor, die Tesla so groß machten. Und er vergisst nicht, von der kolonialen Ausbeutung, der bis heute andauernden Zerstörung afrikanischer Länder oder den Plänen von Joe Biden und Xi Jinping zu berichten. Leser müssen keine Angst vor dem Umfang des Buchs haben. Über seine Reisen zu den sechs Rohstoffen berichtet der Autor in gemächlichem Tempo. Die Passagen zu persönlichen Begegnungen lockern den Text auf, und die Erläuterungen der Technologien sind kompakt und anschaulich. So vergleicht Conway die Produktion von Batterien mit der von Biskuitrollen oder ihre Funktion mit der Wanderung von Menschen zwischen zwei Hochhäusern.
Conway bewundert durchaus die Technologien, die beim Abbau von Rohstoffen zum Einsatz kommen. Gleichzeitig weiß er um ihre zerstörerische Kraft. Nicht ohne Grund stellt er im letzten Kapitel eine Firma vor, die Batterien recyceln will. Und er fragt sich und uns: »Wird dieses immer wiederkehrende Streben nach Bodenschätzen irgendwann einmal ein Ende finden? Ist es unser Schicksal, zu graben und zu sprengen und immer tiefer in die Erde vorzudringen, bis nichts mehr übrig ist?«. Sehr lesenswert.
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