Mathematik als Tätigkeit
»Mathematik ist schön« hieß das Erstlingswerk von Heinz Klaus Strick. Genauso heißt auch die von ihm betriebene Website und ein regelmäßig erscheinender Kalender mit mathematischen Problemen. Das klingt nach einer Vision, die sich der ehemalige Gymnasiallehrer, Schulrektor und nun immer bekannter werdende Buchautor auf die Fahne geschrieben hat. Sein Ziel ist es, die Leser auf einer möglichst anschaulichen, aber nicht zu sehr vereinfachenden Ebene zu eigenen mathematischen Reflexionen anzuregen. Zentrale Konzepte dieses Fachgebiets zu verstehen und eigene Gedanken dazu zu entwickeln, erfordert Geduld. Doch man werde belohnt, indem man die Schönheit der Mathematik erfahre, so Strick.
Nicht besonders kreativ, dafür aber konsequent lautet der Titel des Nachfolgebands »Mathematik ist wunderschön«. Konsequent deshalb, da nicht nur die Ziele, sondern auch der Aufbau des Buchs gleich geblieben sind. Es enthält zwölf unabhängig voneinander lesbare Kapitel, von denen jedes einem bestimmten Phänomen auf den Grund geht. Der Autor behandelt unter anderem Parkettierungen, periodische und nicht-periodische Brüche, Monsterkurven und Fraktale sowie Gesetzmäßigkeiten des Zufalls. So spricht er ein breites Spektrum mathematischer Themen von Arithmetik über Geometrie bis Stochastik an.
Mund über Zahl
Die Kapitel beginnen meist mit einfacheren mathematischen Betrachtungen. Strick stellt dabei diverse Probleme vor und veranschaulicht sie anhand vieler Grafiken. In Kapitel 6 etwa geht es um die Frage, ob sich jede positive Bruchzahl als Summe zweier Stammbrüche (von der Form 1/n) darstellen lässt. Den Anstoß dazu liefert der Autor, indem er auf Zahldarstellungen im alten Ägypten eingeht. Dort wurden Bruchzahlen üblicherweise – von einigen Ausnahmen abgesehen – als Summen von Stammbrüchen geschrieben. Um von einer natürlichen Zahl den Kehrwert zu bilden, also den dazugehörigen Stammbruch, zeichneten die alten Ägypter neben oder über diese Zahl einen Mund.
Diese Vorgehensweise bot einen Vorteil in Sachen Anschaulichkeit, vermutet Strick. Nehmen wir an, wir wollen 4 runde Fladenbrote auf 5 Personen gerecht verteilen. Wie viel bekommt jeder? Die naheliegende Antwort ist die Bruchzahl 4⁄5. Doch wie lässt sich dies anschaulich deuten? Zeichen wir zunächst 4 Kreise und halbieren drei davon. Aus einer der Hälften und dem verbliebenen ganzen Kreis machen wir Viertel. Schließlich fünfteln wir noch eines der entstandenen Viertel. Es gibt nun fünf Halbe, fünf Viertel und fünf Zwanzigstel. Daraus wird ersichtlich, dass beim Verteilen jede Person eine Hälfte, ein Viertel und ein Zwanzigstel bekommt. Und genau dies erkennt man bei der Schreibweise von 4⁄5 als Summe der Stammbrüche 1⁄2, 1⁄4 und 1⁄20.
Davon ausgehend stellt Strick uns unter anderem Fibonaccis Algorithmus zum Berechnen von ägyptischen Brüchen vor und erörtert die Darstellung eines Stammbruchs als Summe anderer Stammbrüche. Um dem Autor dabei zu folgen, muss man mit Gleichungen und Variablen souverän umgehen können. Hat man die angegebenen Beispiele, Regeln, Sätze oder Formeln durchgearbeitet, stößt man auf Boxen mit der Überschrift »Anregungen zum Nachdenken und für eigene Untersuchungen«. Diese sollen das Verständnis vertiefen, unter anderem indem sie Analogien bilden. In einigen Fällen zielen sie auch darauf ab, Ideen zu einer Begründung zusammenzufassen. Im Kapitel mit den Stammbrüchen ergibt sich beispielsweise die schöne Überraschung, eine Begründung für das unbeschränkte Wachstum der so genannten harmonischen Reihe (die Summe aller Stammbrüche) selbst erarbeiten zu können, nachdem der Autor zuvor schon verschiedene Veranschaulichungen und historische Beweise dafür diskutiert hat.
Auf Vollständigkeit von Beweisen und starke Formalisierung verzichtet Strick genauso wie auf weiterführende Hintergründe. Geschichtliche Aspekte reduziert er so weit, wie sie mathematisch für das Weiterarbeiten relevant sind. Mit diversen Bildern und Arbeitsaufträgen hilft er seinen Lesern, mathematische Konzepte anschaulich zu machen und zu erfahren. Es gelingt ihm so, das Verstehen mathematischer Ideen zu fördern und eigene Auseinandersetzungen damit anzuregen. Wer sich darauf einlässt und die notwendigen Voraussetzungen mitbringt (sprich sehr solide Kenntnisse der Schulmathematik ebenso wie Interesse und Ausdauer), wird tatsächlich erfahren, dass Mathematik schön ist. Allerdings spricht das Buch wegen dieser Voraussetzungen wohl vor allem solche Leser an, die bereits von der Schönheit der Mathematik überzeugt sind.
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