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»Mehr Zuversicht wagen«: Entwurf einer Politik mit Zukunft

Die sozialen und ökologischen Probleme haben weltweit ein bedrückendes Ausmaß erreicht. In dieser Lage ist aufgeklärtes und solidarisches Handeln angesagt – und eine Erzählung, die Hoffnung macht. Diese liefert Carsten Brosda in seinem Buch.
Eine Gruppe unterschiedlich farbiger Fifuren steht sich umarmend im Kreis und steckt die Köpfe zusammen.

Die Menschheit taumelt von einer Krise in die nächste. Jeder Sommer bricht den Hitzerekord, die Finanzmärkte pendeln unvorhersehbar zwischen Hausse und Baisse, Zollschranken und Sanktionen lädieren den Welthandel, Lieferketten versagen ihren Dienst, aus lokalen Konflikten explodieren urplötzlich vernichtende Kriege, und eine notdürftig überstandene Pandemie hinterlässt die begründete Sorge, dass bald die nächste globale Seuche naht. Kein Wunder, dass das Vertrauen in die Politik erschüttert ist.

Denn Politiker werden gewählt, um Probleme zu lösen und Krisen zu managen. Wenn ihre Erfolgsbilanz gemischt bis negativ ausfällt – angesichts der schwierigen Weltlage kein Wunder –, macht sich in der Bevölkerung ein Gebräu aus Frust, Angst und Wut breit. Dann greifen immer mehr Menschen nach jedem Strohhalm, der durch eine eingängige Erzählung, und sei sie noch so abstrus, im Meer der widersprüchlichen Informationen Halt verspricht. So droht – zu allem Überfluss der globalen Probleme – auch noch die innenpolitische Krise. Carsten Brosda, der Autor des vorliegenden Buchs, ist Politiker. Er unternimmt den Versuch, dem Wust der in der Gesellschaft kursierenden Erzählungen seine eigene Geschichte entgegenzusetzen.

Sie beginnt in Gelsenkirchen, inmitten des Ruhrgebiets, das seit den 1970er Jahren den »Strukturwandel« bewältigen musste, an dessen Ende die Schließung der letzten Kohlenzeche stand. Hier wuchs Brosda als Kind so genannter einfacher Leute auf, fest im sozialdemokratischen Milieu verankert. Ihm gelang der Bildungsaufstieg zum promovierten Journalisten und politischen Redenschreiber. Am Ende einer glänzenden Karriere ist er heute Kultursenator in Hamburg und Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins.

Sozialdemokratisch gedacht

Als Sozialdemokrat sieht Brosda die erste Aufgabe des Staates darin, durch Reformen die Kluft zwischen Arm und Reich zu mildern. Dafür Wählerstimmen zu gewinnen, wird nicht leichter, seit die politische Konkurrenz erfolgreich propagiert, jeder sei seines Glückes Schmied: Der Einzelne müsse sich nur ordentlich ins Zeug legen, dann sei ihm sein individueller Erfolg garantiert; wenn nicht, dann habe er sich halt zu wenig angestrengt. Der Staat, dieser ewige Schuldenmacher, störe eher das freie Spiel der Marktkräfte. Gegen das liberale oder gar libertäre Dogma bringt Brosda gute, freilich altbekannte Gründe vor, die in den Wahlkampagnen der SPD unter diversen Schlagworten firmiert haben: »Chancengleichheit«, soziale »Gerechtigkeit« – oder einfach »Respekt« gegenüber Menschen, die trotz lebenslanger Arbeit von Armut im Alter bedroht sind. Immerhin hat es die SPD mit diesen Parolen entgegen dem europäischen Trend fertiggebracht, den Kanzler zu stellen.

Das Buch bliebe aber die sympathische und flott geschriebene Fleißarbeit eines Redenschreibers, enthielte die Erzählung nicht mindestens zwei originelle Bezugspunkte: Ökologie und Kunst. Brosda stellt einen direkten Bezug her zwischen Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen einerseits und Umweltproblemen andererseits. Scharf kritisiert er Versuche, soziale Anliegen gegen ökologische auszuspielen. Wenn französische »Gelbwesten« oder deutsche Bauern für billige fossile Treibstoffe auf die Straße gehen, habe die Wirtschaftspolitik versagt, indem sie den Endverbrauchern die Last der Energiewende aufbürde. Für Brosda ist umweltpolitische Nachhaltigkeit eng mit sozialer Gerechtigkeit verschränkt: Der ökologische Fußabdruck der Reichen sei ungleich größer als jener der Armen; das gelte erst recht im Weltmaßstab für die ökologisch-ökonomische Kluft zwischen wohlhabenden Industrienationen und Entwicklungsländern. Diese müssen ausbaden, was jene verursachen, so Brosda.

Mit der Kunst gegen die Krisen

Gegen die trübe Stimmung, die angesichts all der Krisen und Probleme aufzukommen droht, mobilisiert Brosda die Kunst, insbesondere die Texte US-amerikanischer Liedersänger wie Bob Dylan oder Dolly Parton. Des Autors absoluter Favorit ist Bruce Springsteen; zwei Zeilen aus dem Song »No Surrender« dienen als Motto des Buchs. Tatsächlich ist verblüffend, wie konkret und hellsichtig, wie kritisch und realistisch die US-Popkultur die Zustände in den Industrieländern »von unten« beim Namen nennt. Die von Brosda fleißig eingestreuten Zitate stützen das Motto von Bruce Springsteen: Aus einer dreiminütigen Plattenaufnahme lässt sich über wichtige Dinge mehr lernen als aus jahrelangem Schulbesuch.

Der Autor mobilisiert für seine sozialdemokratische Zukunftserzählung nicht nur die Populärkultur, sondern auch berühmte Reden. Er zitiert Martin Luther Kings unvergessliche, letztlich tragische Ansprache »I have a dream« sowie John F. Kennedys rhetorische Wette auf den ersten Amerikaner auf dem Mond. So mitreißend wie ein fetziger Song, so begeisternd wie eine brillante Rede – so wünscht sich der Politiker die Wirkung seiner Erzählung von einer besseren Welt.

Hoch rechne ich dem Autor an, dass er nicht statt »Erzählung« das überall grassierende Modewort »Narrativ« einsetzt. Bei seinem Appell an Vernunft in der Politik vermisse ich allerdings einen Hinweis auf die vielleicht größte Erzählung überhaupt: die Geschichte der Natur, von der die wissenschaftliche Forschung zu berichten weiß. Letztere begründet letztlich die Sorge um den Klimawandel, und sie stellt die technischen Mittel zur Bewältigung der Zukunft bereit. Ohne ein Mindestmaß an naturwissenschaftlicher Bildung lässt sich die Welt kaum mehr verstehen, also auch kaum noch gute Politik machen.

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