»Mein Spitzbergen«: Das Eis, die Schönheit und die Politik
Wer auf Spitzbergen ein Haus verlässt, sollte besser ein Gewehr mitnehmen, rät die Autorin Birgit Lutz gleich zu Beginn. Denn überall könnten Eisbären auftauchen, das zeigen schon die Straßenschilder, die den Tieren die Vorfahrt einräumen. Trotz der Gefahren: Lutz liebt die eisigen Welten. In ihrem Buch hat sie Reiseberichte, Historisches und eigene Erlebnisse rund um Spitzbergen zusammengetragen.
Birgit Lutz, Journalistin und Arktisexpertin, ziehen das Eis, die Herausforderungen und das immer wieder wechselnde Sonnenlicht der Polarregionen schon lange in ihren Bann. Mal wanderte sie auf Skiern von der russischen Eisstation Barneo zum Nordpol, mal durchquerte sie Grönland oder recherchierte monatelang im Osten der weltgrößten Insel. In ihren Reportagen und Büchern schreibt sie vom Leben in den eisigen Regionen, etwa in »Heute gehen wir Wale fangen« oder »Nachruf auf die Arktis«.
Spitzbergen, eine Inselgruppe nördlich des Polarkreises, kennt sie seit 16 Jahren aus Besuchen und ihrer Tätigkeit als Expeditionsleiterin auf Schiffsreisen. Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an Spitzbergen, aber auch ein Weckruf, das Besondere dort zu bewahren. Das gilt nicht nur für die schwindenden Gletscher im Klimaumbruch. Auch die einzigartige politische Situation droht zu kippen. Bislang ist Spitzbergen ein Ort, »an dem alle gleich sind, alle die gleichen Rechte haben … ohne Militär und Krieg«. Denn die entmilitarisierte Zone gehört keiner Nation, sondern steht nur unter einer Art Oberhoheit Norwegens. Der Spitzbergenvertrag von 1920 garantiert allen Menschen aus den unterzeichnenden Nationen gleiche Rechte. Keiner braucht ein Visum. Es gibt per Gesetz keine Ausländer. Bislang leben dort – meist nur zeitweilig – etwas über 2000 Menschen. Doch »seit geraumer Zeit knirscht es in dem einst so friedvollen« Land. Es gibt jetzt eine »Vereinigung der ungewollten Ausländer«, also Nicht-Norweger. Ende 2022 wurden ohne Ankündigung Führerscheine eingezogen, die nicht den norwegischen Gesetzen entsprachen. Zudem wurde die einzige Bank geschlossen, bei der das für die Sozialversicherungsnummer notwendige Konto eröffnet werden konnte. Eine Coronahilfe erhielten nur Firmen in überwiegend norwegischem Besitz, kostenlose Sprachkurse und das Wahlrecht für alle wurden abgeschafft. Lutz bezeichnet dies als grotesk und willkürlich. Als Grund vermutet sie die vielversprechenden Rohstoffvorkommen wie Kupfer, Nickel, Kobalt und seltene Erden, die Norwegen für sich beanspruchen möchte.
Die wunderbaren Eiswelten
Aber auch wenn sie von durch den Klimawandel schwindenden Gletschern oder der Verschmutzung durch allgegenwärtiges Plastik schreibt: Mit stimmungsvollen Schilderungen vermittelt sie immer ein Gefühl der Nahbarkeit zu dieser scheinbar unbefleckten Natur. »All dies unvergleichlich Schöne, diese Weite und das Licht, diese Ausblicke auf ein Meer voller Eisschollen oder einen Gletscher im Fjord« würden Besucher tief berühren. Sie schildert das Leben der menschlichen Gemeinschaft, von »Nakebadeklubbs«, aber auch das Leben der tierischen Bewohner wie der vielfliegenden Küstenseeschwalbe. Sie vergisst nicht die Trapperinnen zu erwähnen, berichtet vom ersten Kohleabbau und den Walfängersiedlungen. Sie erzählt von der tragischen Andreé-Expedition, bei der drei Männer in einem Wasserstoffballon auf der eisig weißen Insel Kvitøya, der östlichsten Insel Spitzbergens, strandeten und starben, und philosophiert bei ihrem Besuch der Insel über die Gründe des Scheiterns. Amüsant schildert sie den Streit zwischen Amundsen und Nobile, die zwar gemeinsam als Erste in einem Zeppelin den Nordpol überflogen, dann aber über die Frage aneinandergerieten, wer denn nun diesen Titel für sich beanspruchen dürfe.
Die Karten auf den inneren Umschlagseiten helfen dem Leser, sich geografisch zu orientieren – denn wer kennt schon die polare Welt zwischen Grönland und Russland, Kvitøya, Amsterdamøya oder Hambergbreen? Selbst Longyearbyen, der größte Ort der Inselgruppe Spitzbergen, dürfte vielen unbekannt sein. Stimmungsvoll erzählt die Autorin von ihren eigenen Reisen und denen anderer. Manchmal klingt es etwas übertrieben, wenn ihr der Regen ins Gesicht nadelt, sie ein Eisbärschädel feucht glänzend anbleckt, Tropfen gegen die Mauern platschen, das Feuer knistert oder die Sonne gleißt. Das hat Lutz eigentlich gar nicht nötig, denn sie erschafft auch so ein eindrucksvolles Rundumbild Spitzbergens. Sie schreibt locker, unterhaltsam, nachdenklich und lässt eigene Ansichten gekonnt einfließen. Ihre immer bekömmlich portionierten Happen an Reiseberichten, Geschichten oder Wissenswertem sind ein Lesegenuss.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben