Einsteins Konkurrent
Der Titel des Werks dürfte viele irritieren – ein kluger Verkaufstrick, um die Aufmerksamkeit potenzieller Leser(innen) zu erwecken. Wie sonst könnte man die Biografie eines Mathematikers darreichen, den fast nur einschlägig Vorgebildete kennen? David Hilbert (1862-1943) tritt in diesem Buch als Persönlichkeit markant hervor, ebenso wie seine Zeit sehr gut greifbar wird – eine bedeutende Epoche der Mathematik, Physik und Philosophie.
Der Autor Georg von Wallwitz hat Mathematik und Philosophie studiert und ist hauptberuflich als Vermögensberater tätig. In dem Werk beschreibt er anschaulich und leicht ironisch-distanziert das Leben Hilberts, der zu den bedeutendsten Mathematikern der Wissenschaftsgeschichte gehört. In welchem Zusammenhang dessen Bemerkung mit der Badeanstalt gefallen ist, erfahren die Leser im 10. von insgesamt 18 Kapiteln. Hilbert bezog sich dabei auf seine Bemühungen, seiner genialen Mitarbeiterin Emmy Noether endlich zu einer Professur zu verhelfen. In einer Badeanstalt, so sein Argument, mag es angemessen zu sein, nach Geschlechtern zu trennen, nicht aber im Wissenschaftsbetrieb.
Fußnoten für Fortgeschrittene
Ungewöhnlich an dem Buch ist, dass der Autor Vor- und Nachwort in die Nummerierung der Kapitel einbezogen hat. Tatsächlich aber haben diese beiden Abschnitte eine wesentliche Bedeutung für die Lektüre. Von Wallwitz macht darin deutlich, wie schwierig es geworden ist, Laien zu erklären, womit sich die mathematische Forschung heute beschäftigt und vor einhundert Jahren beschäftigt hat. Er bittet um Nachsicht dafür, dass er die Themen, mit denen sich Hilbert und seine Fachkollegen befassten, nicht allgemeinverständlich darstellen kann. Den Nicht-Experten unter seinen Lesern rät er, über fachlich komplexe Stellen einfach hinwegzulesen. Für einschlägig Vorgebildete hält eine besondere Form der Fußnote bereit: "FfF", die "Fußnote für Fortgeschrittene", in der er exakte Begriffserklärungen vornimmt.
Diesen Vorbehalt des Autors vermag ich nicht zu teilen. Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie gut es ihm gelingt, den fachlichen Gehalt laiengerecht zu erörtern – und das, ohne eine einzige Formel zu benutzen (mit Ausnahme freilich der Angaben in den FfF).
Die eigentliche Biografie beginnt in Kapitel Zwei mit der Beerdigung Hilberts im Februar 1943, die wenige Wochen nach der Katastrophe von Stalingrad von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurde. Nur wenige von Hilberts ehemaligen Kollegen konnten daran teilnehmen, denn etliche waren verstorben oder im amerikanischen Exil. Von Wallwitz gelingt es sehr einfühlsam, die Verfassung und Gemütslage der beteiligten Personen wiederzugeben.
Vielbeachtete Auflistung
In den folgenden Kapiteln rücken nach und nach jene Menschen in den Fokus, die für Hilbert und seine berufliche Entwicklung eine Rolle spielten. Das beginnt mit seinem Lehrer Adolf Hurwitz (1859-1919) sowie seinem Mitdoktoranden und Freund Hermann Minkowski (1864-1909). Letzterem verdankte Hilbert eine Anregung, die ihn auf Jahrhunderte hinaus berühmt machen sollte. Er verfasste eine Liste mit den bedeutendsten noch zu lösenden mathematischen Problemen und stellte sie 1900 auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Paris vor. Einen Punkt dieser Hilbert-Liste abgearbeitet zu haben, gilt auch heute noch, mehr als einhundert Jahre später, als besonders preiswürdig. Hilberts Überzeugung, dass all diese Probleme irgendwann gelöst würden ("Es gibt kein Ignoramus in der Mathematik", "Wir müssen wissen, wir werden wissen"), erfuhr allerdings rund dreißig Jahre später infolge der Unvollständigkeitssätze, die Kurt Gödel (1906-1978) aufstellte, einen herben Rückschlag.
Albert Einstein (1879-1955) kennt jeder, aber welcher Nicht-Fachmann weiß schon, dass Hilbert seine Abhandlungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie fünf Tage vor Einstein einreichte, und die beiden wissenschaftlichen Konkurrenten dennoch freundschaftlich verbunden blieben? Auch darauf geht der Autor detailliert ein.
All dies und vieles mehr wird in dem Buch wieder lebendig. Wer es gelesen hat, erhält ein detailliertes, tiefgründiges Bild eines besonderen Menschen und genialen Mathematikers, der mit seinen Beiträgen zahlreiche Wissenschaftler beeinflusste – weit über sein Fachgebiet hinaus. Der Band ist unterhaltsam geschrieben, reich an Anekdoten, spannend und lehrreich. Er genügt sowohl den fachlichen als auch literarischen Ansprüchen, die man an eine solche Biografie stellen kann, und lässt sich Mathematikern und Laien empfehlen.
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