Direkt zum Inhalt

Im Schatten Luthers

Das Reformationsjubiläum 2017 naht, und allzu oft gerät dabei außer Acht, dass die Reformation außer Luther noch andere geistige Väter hatte. Einer von ihnen war der Philologe, Philosoph, Humanist und Theologe Philipp Melanchthon (1497-1560). Heinz Scheible, Gründer und langjähriger Leiter der Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hat nun eine überarbeitete und erweiterte Neuausgabe seiner Melanchthon-Biografie von 1997 vorgelegt.

Gestützt auf solide Quellenkenntnis gibt Scheible einen faktenreichen Abriss der (Religions-)Geschichte des 16. Jahrhunderts und beleuchtet die Rolle, die sein Protagonist damals spielte. Klar arbeitet er die wichtigsten Stationen im Leben Melanchthons heraus: dessen Wirken als Gelehrter, Reformator und "Diplomat des Glaubens". Dabei entsteht eine lesenswerte Darstellung, die Melanchthon als Mann seiner Zeit präsentiert, aber auch seine zukunftsweisenden Leistungen markiert.

Heraufziehender Religionskrieg

Scheible zufolge war Melanchthon beileibe nicht der profillose Kompromissler, als der er oft dargestellt wird, sondern durchaus ein harter Verhandlungspartner, der eigene Akzente setzte. Bei wichtigen Religionsgesprächen agierte er allerdings mit Feingefühl und suchte den Bruch mit der katholischen Kirche zu verhindern, als die Reformation in eine gewaltsame Revolution umzuschlagen drohte.

Melanchthon war schon als junger Mann den Freuden des Geistes mehr zugetan als denen des Leibes. Er schrieb zahlreiche Lehrbücher zur griechischen und lateinischen Grammatik, zu Rhetorik, Ethik, Physik, Geschichte und Geografie, die ihm den Ehrentitel Praeceptor Germaniae, "Lehrmeister Deutschlands", einbrachten. Diese wissenschaftlichen Verdienste würdigt Scheible ebenso wie Melanchthons bildungspolitisches Engagement, das vornehmlich die Neuordnung der Universitäten und die Gründung von Elementarschulen betraf.

Zu seiner geschichtlichen Bedeutung kam Melanchthon, indem er in die Reformation hinein- und von Luther angezogen wurde, mit dem ihn mehr als 28 Jahre lang eine freundschaftliche Kollegialität verband. Beide – so Scheible – bildeten trotz gegensätzlichen Charakters ein kongeniales Duo, eine Doppelspitze der religiösen Erneuerung. Hier Luther, der Rabiate, der keinem theologischen Streit aus dem Weg ging. Dort Melanchthon, der Hochgebildete und Feinsinnige, der stets um Ausgleich bemüht war und einen Religionskrieg zu vermeiden suchte – was am Ende nicht gelang.

Luthers unverzichtbarer Partner

Überzeugend arbeitet der Autor heraus, welche Bedeutung Melanchthon für Luther hatte: er war ihm ein "allseits hochgeschätzter Ratgeber in theologischen Fragen". Melanchthon stand Luther bei dessen Bibelübersetzung präzisierend und korrigierend zur Seite und motivierte ihn überhaupt dazu, die Heilige Schrift in volksverständliches Deutsch zu übersetzen. Er verlieh Luthers neuer Theologie eine Systematik, indem er mit seinen 1521 verfassten "Loci communes rerum theologicarum" die erste gültige Zusammenfassung der reformatorischen Lehre schrieb.

Auch Melanchthons Rolle als "Diplomat der Reformation", in der Forschung lange wenig beachtet, wird vom Autor gebührend gewürdigt. Als der geächtete Luther das schützende Kursachsen nicht verlassen konnte, avancierte Melanchthon zum wichtigsten theologischen Berater der evangelischen Stände auf Reichstagen und bei Religionsgesprächen. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) führte er die Verhandlungen mit der römisch-katholischen Kirche und verfasste im Auftrag des sächsischen Kurfürsten das reformatorische Bekenntnis "Confessio Augustana", auf das evangelische Pfarrer noch heute ordiniert werden.

Scheible holt mit seiner Biografie vieles ans Licht, das in den auf Luther fixierten Reformationsfeiern unterzugehen droht. Somit verhilft er einem ganz Großen seiner Zeit zum gebührenden Platz im Geschichtsbild.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Quantencomputer

In dieser »Woche« geht es um Maschinen, die das Kunststück fertig bringen, irgendwie total nützlich für alles und zugleich komplett unnütz zu sein – das können ja fast nur Quantencomputer sein. Außerdem schauen wir auf einen sich abzeichnen Öko-Showdown im EU-Parlament.

Spektrum - Die Woche – Das Sterben in Manaus sollte der Welt eine Warnung sein

In dieser Ausgabe widmen wir uns der Immunität gegen das Coronavirus, Cannabis als Medizin und dem Papst, der die Unfehlbarkeit erfand.

Spektrum - Die Woche – Krebs durch 5G?

In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Insektensterben, 5G und einer Bluthochzeit.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.