Über die ersten Gründe
Philosophie ist nicht leicht – insbesondere ihre Teildisziplin Metaphysik. Da gegenwärtig die analytische Philosophie dominiert und das ganze Fach eine wissenschaftstheoretische Neigung erkennen lässt, scheint es nicht ganz ohne Risiko, eine Einführung in die Metaphysik zu verfassen. Dies umso mehr, als im 20. Jahrhundert der deutsche Philosoph Rudolf Carnap (1891-1970) die Metaphysik Martin Heideggers schlicht als unsinnig abtat, wobei er in der sprachanalytischen Tradition des Wiener Kreises argumentierte.
In den zurückliegenden Jahrzehnten setzte sich die Ansicht durch, die Philosophie sei keine eigenständige Disziplin, sondern solle sich darauf beschränken, die Grundlagen der Wissenschaften kritisch zu begleiten, eben in Gestalt der Wissenschaftstheorie. Soll es also überhaupt noch eine Metaphysik geben? Existieren genuin metaphysische Probleme unabhängig vom Stand der übrigen Wissenschaften?
Durchwachsenes Verhältnis zu den "harten" Wissenschaften
Christof Rapp, Philosoph an der Ludwig-Maximilians-Universität München, unternimmt im vorliegenden Buch das Wagnis, Laien in die Disziplin einzuführen. Er geht dabei bewusst nicht historisch vor, sondern lässt sich von metaphysischen Fragestellungen leiten, die er in aller wünschenswerten Präzision darstellt. Dabei konzentriert er sich auf gegenwärtige Diskussionen vor allem in den angelsächsischen Ländern. Rapp macht deutlich: Abweichend von den Ansichten des Wiener Kreises existieren sehr wohl eigenständige metaphysische Probleme.
Dem Autor gelingt es zu zeigen, mit welcher Naivität gerade die Vertreter der "harten" Wissenschaften einschlägige Grundkonzepte und Begriffe verwenden. Leider gehen bei seinem Ansatz einige altehrwürdige metaphysische Probleme verloren, die in der Philosophiegeschichte eine wichtige Rolle spielten, etwa die Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Vielheit (Plotin) oder Sein und Werden (Hegel). Rapp konzentriert sich auf metaphysische Fragen des 20. und 21. Jahrhunderts und ihre oft lange Vorgeschichte. Dabei definiert er die Disziplin wie folgt: "Metaphysische Aussagen beziehen sich auf die Wirklichkeit als Ganzes – und zwar im Hinblick auf ihre allgemeinsten Kategorien und ihre grundlegenden Strukturen."
Scheinbar Selbstverständliches auf dem Prüfstand
Ab da wird es für den Leser spannend, denn diese sehr abstrakte Definition erläutert der Autor nachvollziehbar anhand konkreter Probleme und alltagsnaher Beispiele. Selbst den Charme Arnold Schwarzeneggers zieht er heran, um philosophische Probleme zu illustrieren. Welchen Status, fragt er, haben allgemeine Strukturen wie Zahlen, Naturgesetze, Tatsachen, Sachverhalte oder abstrakte und allgemeine Begriffe? Sind sie existent, und wenn ja, wo und wie? Oder existieren sie nur im menschlichen Geist? Falls dem so ist, warum gelten sie dann in der Wirklichkeit? Wie soll man die Identität eines Objekts angesichts seiner ständigen Veränderung denken (Substanz-Akzidenz-Problem)? Was ist ein Ereignis?
Rapps Zugang zu schwierigen philosophischen Sachverhalten ist zwar leserfreundlich, erspart einem aber nicht die eigene Denkarbeit. Man muss das Büchlein daher langsam und immer wieder neu lesen. Dann gehen einem ganz neue Welten auf.
Der Autor führt seine Leser umfassend in die Komplexität entsprechender Fragestellungen, in Argumente und Gegenargumente ein und macht sie auf sprachliche Präzision aufmerksam, ohne allerdings zu einer wirklichen Lösung der angesprochenen Fragen zu kommen. Philosophie ist nun einmal nicht leicht. Dennoch hätte man sich etwa im Kapitel über den Ereignisbegriff mehr Informationen über Alfred N. Whitehead (1861-1947) gewünscht, den Mathematiker und großen Ereignismetaphysiker des 20. Jahrhunderts. Und im Kapitel über Kausalität wäre zumindest ein Hinweis nötig gewesen, welche Bedeutung dieser in der Quantenmechanik zukommt. Ein bisschen Physik schadet auch der Metaphysik nicht.
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