Gut gefragt ist halb gewonnen
Mit seinem neuen Lehrwerk wendet sich der Sozialwissenschaftler Frank Faulbaum »an alle, die sich ernsthaft für das Spektrum der Verfahren interessieren, welche die Qualität von Umfragemessungen beeinflussen«. Doch dieser breiten Zielgruppe wird der Autor nicht gerecht. Denn darunter dürften auch praktisch orientierte Leser fallen, die nicht willens oder es nicht gewohnt sind, eine in Stil und Inhalt sehr akademische Lektüre von mehr als 600 Seiten durchzuarbeiten. »Eine Skala ist eine strukturtreue (das heißt homomorphe) Abbildung eines empirischen Relativs in ein numerisches Relativ«: Diese Definition zählt noch zu den einfacheren.
Hintergrundwissen erforderlich
Ernsthaftes Interesse allein genügt oft nicht, um die Buchinhalte zu verstehen. Messmodelle, Stichprobenauswahl und Populationswerte etwa erfordern einiges an Hintergrundwissen. Und während der Umfrageforscher einerseits simple mathematische Symbole wie das Summenzeichen erläutert, setzt er bei anderen Formeln statistisches Grundverständnis voraus – anschauliche Anwendungsbeispiele fehlen häufig. Selten lässt der Autor spüren, dass er 15 Jahre Projektleiter bei der GESIS war, einem deutschen Institut für Sozial- und Umfrageforschung.
Andere Teile dagegen sind leichter verständlich und erkennbar praxisrelevant. Dazu zählen die Übersicht über rechtliche Rahmenbedingungen, über Maßnahmen, die die Teilnahmebereitschaft erhöhen, sowie die Kapitel über die Konstruktion von Fragebogen und wie sie die Ergebnisse beeinflussen. Welche und wie viele Antwortalternativen sollte ein Fragebogen bieten? Verhalten sich die Befragten anders, wenn es eine neutrale Antwortkategorie gibt?
Teils sind die Tricks der Fachleute regelrecht bühnentauglich: Verblüffend wie Zaubertricks erscheinen beispielsweise drei Techniken, mit denen die Umfrageforschung sozial unerwünschte Verhaltensweisen ans Licht holt. Erhellend sind auch die Erkenntnisse zur Übersetzung von Fragebogen. Eine Grafik zeigt, wie sich deutsche Adverbien von ihren vermeintlichen englischen Entsprechungen unterscheiden. Das Wörtchen »very« empfinden Englischsprachige etwa als schwächer als Deutsche die übliche Übersetzung »sehr«. Und umgekehrt erscheint »somewhat« stärker als »etwas«.
Ungenaue Formulierungen in Fragen und Antwortalternativen sind ein grundsätzliches Problem. Dies sowie rund 30 weitere mögliche Fallstricke listet das »Fragebewertungssystem« von Faulbaum und seinen Kollegen auf: eine kompakte Checkliste für Fehlerquellen, die beim Konstruieren von Fragebögen auftreten und die Ergebnisse beeinflussen können.
Wer tief in die Umfrageforschung einsteigen will und dafür keine Mühen scheut, kommt bei einigen Themen auf seine Kosten. Zum Nachschlagen eignet sich das Buch aber nur, wenn man weiß, wo man suchen muss, denn ein Stichwortverzeichnis fehlt. Hätte man den seltsam großen, leeren unteren Seitenrand mit Text gefüllt, hätte auf dieselbe Anzahl Seiten locker noch ein Stichwortverzeichnis gepasst – unabdingbar für ein Lehrbuch, das ein »neues Standardwerk zur Umfrageforschung« werden will.
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