Die Pracht versunkener Städte
Die Ruinen vergangener Kulturen faszinieren bis heute. Das zeigt sich etwa in den vielen Kulturtouristen, die zu den antiken Bauwerken von Luxor, Rom oder Olympia, aber auch Trier, Köln und Lyon reisen. Was die Besucher dabei naturgemäß nicht zu sehen bekommen, ist die Pracht dieser Ruinenstädte zu deren Blütezeit. Der Architekt Jean-Claude Golvin versucht mit der erweiterten Auflage seines aufwändig gestalteten Bildbands »Metropolen der Antike«, genau diese Lücke zu schließen.
Golvin war als Bauforscher mehr als zehn Jahre lang für das französische Forschungszentrum CNRS in Ägypten tätig. Danach machte er sich einen Namen als Rekonstruktionszeichner für wissenschaftliche und populärwissenschaftliche archäologische Publikationen. Seine Stadtansichten basieren auf fundierten Rekonstruktionen archäologischer Funde und historischer Quellen. In geographisch gegliederten Kapiteln illustriert er Straßen, Tempel und Paläste, die an bekannten Fundplätzen zu Tage kamen – detailreich und so, wie sie zu ihren Glanzzeiten einmal ausgesehen haben könnten. Auf Übersichtsbildern markiert er verschiedene Besonderheiten der jeweiligen Stätte und versieht sie mit Nummern, die er in Legenden erklärt. Einige Abbildungen tauchen in dem Buch noch einmal wiederholt im beeindruckenden Großformat auf, das eine ganze Doppelseite einnimmt.
Vom Nil bis zum Rhein
Golvins Liebe für die Monumentalbauten der alten Ägypter zeigt sich in seinen detailreichen Rekonstruktionen der jahrtausendealten Metropolen am Nil. Doch auch antike Städte im übrigen Nordafrika, dem Vorderen Orient, dem europäischen Mittelmeerraum sowie in Deutschland und seiner Heimat Frankreich hat der Autor liebevoll illustriert. Besondere Beachtung finden dabei die wichtigen regionalen Zentren des römischen Reichs wie Köln, Karthago und Caesarea. Der Autor zeichnet die Orte nicht nur als bloße Ansammlung von Bauwerken, sondern mitsamt Pflanzen, Tieren und Bewohnern, sodass man sich bei der Lektüre fast wie ein Tourist in die Szene hineinversetzt fühlt.
Leider lehnen sich die Einführungstexte zu den verschiedenen Stätten mitunter zu weit aus dem Fenster – vor allem dort, wo Golvin romantische Geschichten statt handfester archäologischer Forschung bevorzugt. Die These etwa, die so genannten Hängenden Gärten von Babylon hätten auf Kolonnaden-Gewölben in der antiken Millionenstadt geruht, ist nicht haltbar: Ein Gewölbe aus Lehmziegeln hätte der Bewässerung einer solchen Grünanlage niemals dauerhaft standgehalten. Es fragt sich, warum dem Architekten Golvin das nicht aufgefallen ist. Auch irritiert seine Behauptung, die Stadt Petra sei zwischen ihrer Auflassung im 7. Jahrhundert und der Ankunft des Schweizer Orientreisenden Johann Ludwig Burckhardt im Jahr 1812 völlig in Vergessenheit geraten. Aus dem Bewusstsein der Europäer mochte Petra wohl verschwunden sein, sicherlich aber nicht aus dem der Beduinen, die bis heute in der jordanischen Wüste leben – zumal Burckhardt ohne deren Hilfe die antike Stadt nicht hätte wiederentdecken können.
Trotz solcher vereinzelten Klischees sind die Texte generell gut zu lesen und vor allem für Laien hilfreich. Die Illustrationen sprechen schon allein aus ästhetischer Sicht für sich und können sogar Fachleute begeistern.
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