»Nägel mit Köpfen«: Katzenschnur, Küchenmixer und Nietnägel
Raumschiffe, künstliche Befruchtung, Flugzeuge, Telefone oder einfach ein Küchenmixer sind die großen und komplexeren Erfindungen der Menschen. Doch darin stecken die einfachen und kleinen Dinge, die sie erst möglich gemacht haben. Roma Agrawal hat für ihr Buch sieben bedeutende Erfindungen ausgewählt: Nagel, Rad, Feder, Magnet, Linse, Schnur und Pumpe. Auf verständliche Weise erzählt sie, wie diese Elementarbausteine der modernen Technik entdeckt, verändert und immer wieder neu erfunden wurden, und überrascht dabei des Öfteren mit wenig bekanntem Wissen.
In ihrem eigentlichen Beruf ist Roma Agrawal Bauingenieurin und hat zudem Physik studiert. Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Ingenieurin, die unter anderem sechs Jahre lang am Bau des Wolkenkratzers »The Shard« in London, des damals höchsten Gebäudes Westeuropas, mitgearbeitet hat. Schon ihr erstes Buch »Die geheime Welt der Bauwerke« wurde zu einem Bestseller, in dem sie unterhaltsam von der Kunst berichtet, Brücken und Häuser so zu bauen, dass sie nicht einstürzen oder abbrennen.
In diesem Buch hat Agrawal sich nun die kleineren Dinge vorgenommen, die oft schon vor Jahrhunderten entdeckt wurden und ohne die auch die moderne Technik nicht funktionieren würde. So spannt sie den Bogen von den Nägeln in römischen Brustpanzern zu den Nietnägeln in Flugzeugen wie der Spitfire oder von der Achse in der Töpferscheibe zu der im Helikopter über die Wasserpumpe bis hin zur Herz-Lungen-Maschine.
Dies ist nicht nur ein unterhaltsam geschriebenes Sachbuch. Immer wieder ist die Autorin auch als Person präsent, etwa wenn sie eine Liebeserklärung an ihr Kind im Text unterbringt, sich in London über indisches Streetfood »Pani Puri« freut oder Erfindungen aus dem Land ihrer Familie anführt. Mal testet sie selbst das Schmieden eines Eisennagels, mal spinnt sie Wolle zu einer Schnur oder beschreibt ihre spürbare Erleichterung beim Nutzen einer Milchpumpe als Hilfe beim Stillen.
Die faszinierende Vielfalt der Erfindungen
Zunächst muss man als Leser Geduld mitbringen. Das erste Kapitel über Nägel ist eher mühsam zu lesen. Doch es lohnt sich, dabeizubleiben. Denn Agrawal schreibt nach und nach spannender, unterhaltsamer und mit Humor. Immer wieder liefert sie überraschende Informationen zu den Erfindern. Pardon. Erfinderinnen oder wagemutigen Frauen zum jeweiligen Thema. So macht sie auf die Leistungen weiblicher Kampfpilotinnen aufmerksam wie die von Polina Gelman, die im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Einsätze flog. Oder erwähnt Katharine Burr Blodgett, die als Erste nicht reflektierende Schichten auf Glas entwickelte. Ebenfalls Anerkennung finden Josephine Chochran, der wir die erste funktionierende Geschirrspülmaschine verdanken, und Stephanie Kwolek, die Erfinderin von Kevlar für schusssichere Westen. Auch geniale männliche Ingenieure stellt sie vor. Wie Al-Dschazarī, »dessen Name (bedauerlicherweise) kaum jemandem geläufig ist«, der im Mittelalter Durchflussregler und geschlossene Regelsysteme in Wasserpumpen erfand. Sie stellt die eher unbekannte Hängeseilbrücke »Q'eswachaka« in Peru vor, die vollständig aus Naturfasern gewebt ist. Oder sie berichtet, dass das Rad zuerst in der drehenden Töpferscheibe – dem Krugdreher – angewendet wurde und erst viel später in Fahrzeugen. Zudem erfährt man, dass der Katzendarm für Schnüre auf Saiteninstrumenten aus dem Darm von Lämmern bestand oder in einem Auto bis zu 100 Magnete verbaut sind.
Gelungen beschreibt die Autorin, wie Sprache beim Telefonieren in elektrische Signale umgewandelt wird oder wie die Unruhe in Uhren funktioniert. Weniger verständlich sind dagegen Passagen wie die, in denen sie das Gyroskop schildert, ein Kreiselinstrument für die Navigation.
Leider finden sich in der Übersetzung grobe Fehler. So besteht Bronze aus Kupfer und Zinn und nicht aus »Blei«, wie das englische Wort »tin« fälschlicherweise an vielen Stellen übersetzt wurde. Und so ist auch nicht ein Mangel an Blei die Ursache für einen Mangel an Bronzeprodukten. Ebenso wenig leitet das Herz sauerstoffangereichertes Blut in die Lunge, es ist genau umgekehrt. Dass einer fachlich versierten Autorin solche sachlichen Fehler »untergeschoben« werden, ist nicht schön. Wer mag, kann also auch zum englischsprachigen Original »Nuts and Bolts« greifen, das ebenfalls köstlich zu lesen ist.
Roma Agrawal äußert schließlich noch einen Wunsch: Oft profitierten nur die Mächtigen von neuer Technik oder sie diente der Entwicklung noch besserer Waffen – im Mittelpunkt ihrer Anwendung sollte aber vielmehr »das Wohl unseres Planeten und seiner Bewohner« stehen, so die Autorin.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben