Eigenliebe aus Sicht der Psychoanalyse
Die Buchserie »Psychodynamik Kompakt« möchte den Forschungsstand zu relevanten Themen für therapeutisch Interessierte kurz und bündig zusammenfassen. Der neue Band aus dieser Reihe befasst sich mit dem allgegenwärtigen Phänomen Narzissmus. Autor Hans-Peter Hartmann ist Psychologe, Neurologe, Psychiater, Facharzt für psychosomatische Medizin und arbeitet als Psychoanalytiker in eigener Praxis.
Der Klappentext führt allgemeinverständliche Fragen auf, etwa: »Ist unser Zeitalter durch ein Übermaß an Selbstbezogenheit gekennzeichnet?« und »Leben wir in einer Kultur mit narzisstischer Prägung?«. Bei der Lektüre stellt sich dann heraus, dass der Band deutlich fachlicher geraten ist, als es diese Fragen vermuten lassen. Er richtet sich ganz klar an Therapeuten, die psychoanalytisch oder tiefenpsychologisch arbeiten.
Entwicklungsstadium und Psychose
Nach einer Einleitung zum antiken Mythos des Narziss, der sich unsterblich in sein eigenes Spiegelbild verliebt und beim Versuch, dieses zu umarmen, ertrinkt, wirft der Autor einen historischen Blick auf Sigmund Freuds Narzissmus-Begriff. Für Freud stellte die Eigenliebe einerseits ein normales Stadium in der Kindesentwicklung dar, in dem die noch unorganisierten Sexualtriebe auf das eigene Ich bezogen werden, andererseits eine Art Psychose, wenn Erwachsene in diese frühe Entwicklungsphase zurückfallen.
Darauf folgen Definitionen anderer berühmter Psychoanalytiker wie Otto Kernberg und Heinz Kohut. Auch befasst sich der Autor mit psychodynamischen Erklärungsmodellen, die der narzisstischen Persönlichkeitsstörung unter anderem Probleme bei der Selbstregulation und in der Beziehung zu anderen Menschen zu Grunde legen. Demnach sehen Narzissten andere als »Objekte«, sich selbst hingegen als »Subjekt«. Das alles geschieht in einer Sprache, die eines Glossars bedürfte, sofern Laien oder Therapeuten anderer Schulen angesprochen werden sollen.
Im weiteren Verlauf befasst sich Hartmann mit der modernen Diagnostik und Klassifikation der Erkrankung. Er geht auf unterschiedliche psychoanalytische Therapieansätze ein sowie auf die Schwierigkeit von Übertragung und Gegenübertragung in der Behandlung. Auch thematisiert er die Perspektive der Verhaltenstherapie, die sich weniger mit dem von Freud postulierten Unbewussten befasst als mehr mit konkreten, aktuellen Problemen des Patienten. Immer wieder streut der Autor Fallbeispiele ein, an denen das typische Verhalten von Betroffenen deutlich werden, ebenso die Konsequenzen für Angehörige. Das Werk ist insgesamt sorgfältig recherchiert, eignet sich aber nur für Fachleute, die tief ins Thema einsteigen möchten.
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