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Ehrenrettung eines Despoten

Die Weltmacht Rom hat im Lauf ihrer Geschichte ruhmreiche Führungspersönlichkeiten hervorgebracht. Fünf Jahrhunderte lang, von 27 v. Chr. bis 476 n. Chr., standen dem Imperium kühle Taktiker wie Augustus vor, umsichtige Konsolidierer wie Vespasian, Eroberer wie Trajan, gebildete Schöngeister und Philosophen wie Hadrian und Marc Aurel, energische Reformer wie Aurelian, nüchterne Organisatoren wie Diokletian und Visionäre wie Konstantin. Es gab aber auch Herrscher, die sich negativ ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben.

Einer davon war Kaiser Nero, der zwischen 54 und 68 n. Chr. regierte und in die Geschichte als größenwahnsinniger und grausamer Despot einging. Er habe Rom in Schutt und Asche gelegt, die Christen gnadenlos verfolgt und seine Mutter gemeuchelt, heißt es. Doch war Nero wirklich der "Feind des Menschengeschlechts", als den ihn seine Zeitgenossen schilderten?

Damit befasst sich der reich illustrierte Begleitband zur Sonderausstellung "Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann" (14.05.-16.10.2016) im Rheinischen Landesmuseum Trier. Anschaulich und im Licht neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse beleuchten darin renommierte Forscher verschiedener Disziplinen das Leben und Wirken des schillernden Herrschers, sowohl im Kontext seiner Zeit als auch im Blick der Nachwelt.

Facettenreiche Erscheinung

Skizziert werden Neros Weg zur Macht und die politischen Rahmenbedingungen, unter denen sich dieser vollzog; die Rolle seiner ehrgeizigen Mutter Agrippina und die des Prinzenerziehers Seneca. Die Autoren beschreiben Nero als Politiker; gehen auf sein Verhältnis zu Senat, Volk und Militär ein; beschreiben seine Tätigkeiten als Bauherr, der sich mit dem Palast "Domus Aurea" ein antikes Versailles am Tiber schuf; und skizzieren ihn als Künstler, der als Mime und Sänger auftrat. Schließlich widmen sie sich Nero als despotischem und grausamem Tyrannen, so stigmatisiert vor allem von der senatorischen und christlichen Geschichtsschreibung.

Sehr aufschlussreich ist der Beitrag über die kaiserliche Selbstdarstellung mit Hilfe von Münzen. Darin erfahren wir, wie der Kaiser gesehen werden wollte (und sollte). Nicht minder erhellend präsentiert sich das Kapitel zur Rezeptionsgeschichte, das Neros historischen Nachhall in den Blick nimmt und aufzeigt, wie tief sich sein Name ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Gut herausgearbeitet wird, welche Rolle das soziale Umfeld für Neros Persönlichkeitsentwicklung spielte. Bei allen befremdlichen Charaktereigenschaften war der spätere Kaiser ein Kind seiner Zeit. In einer Familie aufzuwachsen, in der Intrigen, Zwietracht, Hass und Mord auf der Tagesordnung standen, war seiner kindlichen Entwicklung nicht gerade zuträglich.

Niedermachung des Imperators

Kritisch betrachten die Autoren das verbreitete Nero-Bashing noch während der Antike – und entlarven es als literarische Konstruktion einer senatorisch dominierten römischen Geschichtsschreibung. Diese hatte ein handfestes Interesse daran, den Künstlerkaiser, der in ihren Augen so gar nicht dem Ideal eines Princeps entsprach, möglichst unvorteilhaft darzustellen.

Der Grund für Neros schlechtes Renommee lag in seinem unkonventionellen Regierungsstil. Der exaltierte Herrscher zeigte sich gern volksnah und freigiebig. Wahrten seine Vorgänger auf dem Cäsarenthron noch betont Distanz zum einfachen Volk, suchte Nero dessen Nähe – und setzte sich damit über gesellschaftliche Konventionen hinweg. Mehr den schönen Künsten zugewandt als dem Kriegshandwerk, widmete sich Nero intensiv seinen Auftritten als Schauspieler, Musiker und Wagenlenker. Ein solches Verhalten galt in Rom als höchst anstößig, da diese Berufsgruppen sozial wenig geachtet waren. Hinzu kam Neros Vorliebe für alles Griechische, sein betont zur Schau gestellter Philhellenismus, mit dem er die konservative, romtümelnde Aristokratenklasse ein ums andere Mal vor den Kopf stieß.

Bewusst brach Nero Tabus, verletzte Traditionen und missachtete Verhaltensregeln – manchmal als Mittel zum Zweck, um die Gunst des Volkes zu gewinnen. Sein exaltiertes Künstlertum, auch das eine interessante Erkenntnis des Buchs, war vor diesem Hintergrund nicht bloß Selbstverwirklichung, sondern auch politisches Kalkül, um seine umstrittene kaiserliche Macht zu legitimieren.

Wer sich ein differenziertes, auf dem aktuellen Forschungsstand basierendes Bild von Nero verschaffen möchte, ist mit dem vorliegenden Buch bestens bedient. Es zählt zu den lesenswertesten Werken, die in den zurückliegenden Jahren über den letzten Repräsentanten des iulisch-claudischen Kaiserhauses geschrieben wurde.

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