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»Nero«: Als April noch Neroneus war

Alexander Bätz macht die römische Welt zur Zeit Neros lebendig und schafft so eine neue Sicht auf das Leben des bekannten Kaisers.
Auf diese Skulptur stützt sich die Rekonstruktion

Dass die Monate Juli und August nach den römischen Kaisern Julius Cäsar und Augustus benannt sind, ist den meisten Menschen geläufig. Aber dass der schöne römische Monatsname »aprilis« zur Zeit der Kaiserherrschaft Neros zu seinen Ehren in »neroneus« umbenannt wurde, dürfte weniger bekannt sein. Dies lässt den Leser stutzen: Was war das für ein Mensch, der sogar als Monatsname in die Geschichte eingehen wollte? War dieser Kaiser endgültig dem Größenwahn verfallen?

Neros Name weckt heute noch viele Assoziationen. An erster Stelle steht der Brand von Rom, dann seine Grausamkeit und Tyrannei, die selbst vor seiner Familie nicht Halt machten. Als Mörder seiner Mutter, seiner Ehefrau und seines Bruders ist er in die Geschichte eingegangen. Wirklich niemand war vor seiner Rachsucht und Machtgier sicher. Bekannt ist er auch durch seine hemmungslose Genusssucht und, was für die römische Aristokratie seiner Zeit am schändlichsten war, durch seine Auftritte als Schauspieler und als Musiker mit der Kithara (Leier). Kein Wunder, dass er nach seinem Tod mit der »damnatio memoriae« belegt wurde: Alles, was öffentlich an ihn erinnerte, wurde zerstört. Kein guter Abgang für einen göttlichen Kaiser.

Um gleich in medias res zu gehen: Das neue, umfangreiche Buch von Alexander Bätz über den bekannten römischen Kaiser ist für jeden, der sich auch nur ansatzweise für römische Geschichte interessiert, ein Leckerbissen.

Zum einen, weil es sehr gut geschrieben ist. Durch seine intensive Quellenkenntnis versteht es Bätz, die römische Welt des 1. Jahrhunderts n. Chr. wieder auferstehen zu lassen und in einem eindringlichen, erzählenden Stil zu präsentieren.

Dies führt zum zweiten Aspekt des Buches: Es ist nicht nur eine Beschreibung des Lebens Neros, sondern es erklärt das Leben Neros aus seiner Zeit heraus, und es möchte seine Biografie aus seiner römischen Lebenswelt verstehen und verständlich machen. Und das ist, nicht nur auf Grund der politischen, sondern auch der familiären Verwicklungen nicht einfach.

Nehmen wir als Beispiel die Ermordung des 13-jährigen Britannicus im Februar 55. Britannicus war der Sohn von Kaiser Claudius und Valeria Messalina. Nach Valeria Messalina heiratete Claudius Agrippina die Jüngere. Diese hatte einen Sohn aus ihrer vorherigen Ehe: Nero, der von Claudius adoptiert wurde. Nun gab es zwei Thronanwärter, und Agrippina schaffte es, ihren Sohn Nero nach dem Tod von Claudius auf den Thron zu heben. Als allerdings Nero seiner Mutter die Gunst entzog, drohte sie ihm, sich wieder Britannicus zuzuwenden, der eigentlich einen höheren Anspruch auf den Thron hatte. Das erforderte wiederum ein schnelles Handeln von Nero: Der 17-jährige Nero ließ seinen 13-jährigen Stiefbruder Britannicus vergiften und verwies seine Mutter des Palastes. Das war die Möglichkeit für die vornehme Römerin Iunia Silana, Agrippina zu diskreditieren. Schließlich hatte Agrippina vor Jahren Iunias Hochzeit mit Titus Sextius Africanus verhindert.

Sie ließ das Gerücht streuen, dass Agrippina den 20-jährigen Rubellius Plautus (Urenkel des Tiberius!) heiraten und den Kaiser stürzen wolle. Angefacht wurde dieses Gerücht noch durch Atimetus, einen loyalen Freigelassenen von Neros Tante, Domitia. Agrippina hatte ihr vor zehn Jahren ihren Ehemann, Passienus, ausgespannt. Dieses eine Mal konnte sich Agrippina noch retten, sie wurde allerdings dann 59 n. Chr. auf Befehl ihres Sohnes Nero ermordet. Das genaue Motiv ist unklar, er fühlte sich wahrscheinlich weiterhin von ihr bedroht.

Wäre diese kurze Episode das Skript einer Reality-TV-Show, würde es sehr unwahrscheinlich klingen. Die heutige Yellow Press würde bei solchen Zuständen Rekordauflagen verzeichnen.

An dieser Stelle greift Alexander Bätz ein: Was sind die Hintergründe der Herrschaft Neros? Wie ist sie im Kontext der Kaiserherrschaften vor und nach ihm zu bewerten? Hatte die nachfolgende Dynastie der Flavier ein besonderes Interesse daran, Nero in einem schlechten Licht dazustellen?

So muss am Beispiel des Brudermords gefragt werden, ob ein 17-Jähriger wirklich schon die Macht und die Möglichkeit hatte, eine derartige Tat zu begehen und durchzuführen. Gerade weil die Quellen die Abhängigkeit Neros von seinen Beratern betonen, kann hier ein Fragezeichen gesetzt werden. Denn die Berater Neros, vornehmlich der bekannte Stoiker Seneca und Burrus, hatten ebenso ein Interesse am Thronerhalt Neros. Ihre Macht und ihr wachsender Reichtum hingen von Nero ab, und falls Britannicus Kaiser geworden wäre, hätten sie ausgedient.

Insgesamt stellt Bätz Nero als eine ambivalente Figur heraus: auf der einen Seite als einen Menschen, der mit höchster Grausamkeit seine Gegner, ob Familie oder Senatoren, vernichtete. Auf der anderen Seite schimmert durch, dass Neros Zeit von äußerem Frieden und wirtschaftlicher Blüte geprägt war. Besonders die Bevölkerung der Stadt Rom und der Ostteil des Römischen Reiches verehrten ihn, und sie behielten ihn anders in Erinnerung als die römischen Senatoren und die Aristokratie.

Die Umbenennung des Monats »aprilis« in »neroneus« ist sicherlich nur ein kleiner Akzent seiner weltumspannenden Herrschaft. Man kann nur hoffen, dass heutige Politiker nicht auf dieselbe Idee kommen. Kandidaten gäbe es bestimmt dafür, aber es bleibt der Fantasie des Einzelnen überlassen, wer dafür in Frage käme.

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