Krieg auf hoher See
Als Ende 2019 nicht weniger als 63 chinesische Fischereiboote vor Indonesiens Küsten der Natuna-Inseln auf Fang gingen, wurden sie von schwer bewaffneten Schiffen der Küstenwache eskortiert. Indonesien antwortete darauf mit dem Überflug von vier Kampfjets. Es war ein Zeichen dafür, dass um die schwindenden Fischgründe mit zunehmend harten Bandagen gekämpft wird. Die frühere indonesische Fischereiministerin Susi Pudjiastuti hatte schon 2014 begonnen, die illegale Fischerei radikal zu bekämpfen. Sie ließ Fangschiffe dazu oft zur Abschreckung sprengen oder versenken.
Es herrscht Krieg auf dem Meer, stellt der Journalist und Anthropologe Ian Urbina in diesem Buch fest. Er bereist für die »New York Times« die Meere und berichtet über schäbige Machenschaften in der Fischereibranche, auch über den illegalen Fang hinausgehende – wenn etwa Gutachten verschwinden, die Korallenriffe vor Brasiliens Küste vor Ölbohrungen schützen sollten. Inselstaaten wie Palau versuchen verzweifelt, mit einem einzigen Schiff ihre Fanggründe vor Überfischung zu schützen; Kreuzfahrtschiffe lassen tonnenweise ölhaltige Abwässer ins Meer ab.
Amphetamine, aber keine Antibiotika
Als Augenzeuge schildert Urbina diesen Kampf auf dem Meer, von dem wir meist nichts mitbekommen, aus erster Hand. Die Arbeit auf See, schildert er immer wieder, mündet oft in Sklaverei und Sadismus. Über mehr als vier Jahre hinweg war er an Bord diverser Kontroll- oder Fischereiboote und sah Seeleute, die fast noch Kinder waren und unter schwersten Bedingungen arbeiteten. Ein kambodschanischer Junge zeigte ihm stolz seine Hand, an der zwei Finger fehlten – abgerissen von einem Netz, das sich in einer Drehkurbel verfangen hatte. Andere hatten sich tiefe Schnittwunden selbst zusammengenäht, die dauerhaft entzündet blieben – denn der Kapitän verteilte aufputschende Amphetamine, aber keine Antibiotika. Urbina berichtet auch von Menschenhandel, Auspeitschen und Zwangsarbeit.
Vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand, lautet ein Sprichwort. Doch wo an Land die Richter nach Gesetz Recht sprechen, herrscht auf hoher See Willkür, wie der Autor zeigt. So zitiert er einen UN-Bericht, in dem 29 Seefahrer bezeugten, dass Kapitäne oder Offiziere ungestraft Arbeiter getötet hatten.
Das Buch befasst sich auch mit dem Walfang. Die Leser erfahren etwa, dass Japan 2017 die Verhinderung des Walfangs im Antiterrorismusgesetz unter Strafe stellte. Japanische Walfangschiffe sind inzwischen militärisch so hoch aufgerüstet, dass Meeresschutzorganisationen wie die »Sea Shepherd« den Kampf gegen sie aufgegeben haben: Sie manövrieren ihre Schiffe nicht mehr wie früher zwischen die zu schützende Wale und die »Schlachthausschiffe«.
Urbina geht zudem der Frage nach, ob nicht auch die Meeresaktivisten außerhalb des Gesetzes agieren. Und zitiert einen Kapitän der »Sea Shepherd«, wonach die Schutzorganisationen ihre Autorität aus der UN-Weltcharta für die Natur beziehen. Diese fordert unter anderem NGOs auf, beim Schutz der Natur in jenen Bereichen zu helfen, die von nationaler Rechtsprechung nicht erfasst werden. Das Behindern illegaler Fischer und das Konfiszieren von deren Netzen, argumentieren Anwälte für Seerecht, seien im Vergleich zur illegalen Fischerei ersichtlich ein »geringeres Ärgernis«.
Ein Beispiel für einen solchen Vorgang ist die Verfolgung der »Thunder«. Aktivisten der »Sea Shepherd« hatten den von Interpol gesuchten Fischtrawler 2014 aufgespürt. Sie beschlagnahmten 72 Kilometer lange illegale Netze, während der Kapitän der »Thunder« sein Schiff selbst versenkte.
Doch solche Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die illegale Fischerei ein gewinnträchtiger und übermächtiger Markt ist. Der Kampf gegen die schwimmenden Waffenkammern sei schwer zu gewinnen, resümiert Urbina. Und so fragt er, ob nicht auch jede(r) Einzelne von uns etwas tun kann. Als Anregung stellt er am Ende seines lesenswerten Werks verschiedene Organisationen vor, die für den Schutz von Seeleuten arbeiten, sich für eine transparente Lebensmittelkontrolle einsetzen oder gegen die Verbrechen auf See kämpfen – und die man als Privatperson unterstützen kann.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben