»Parlez-vous español, please?«: Das chinesische »Ja« und andere Lesenswürdigkeiten
Wann handelt es sich bei Sprachvarianten um Dialekte, wann um eigene Sprachen? Mit dieser höchst umstrittenen Frage startet die Journalistin Françoise Hauser ihre Reise durch die Welt der Sprachen. Ihr Fazit entspricht dem der meisten Fachleute: Oft entscheiden weniger linguistische Argumente als politische Interessen darüber, ob ein Dialekt zu einer eigenständigen Sprache erklärt wird oder nicht, wie im Fall von Hindi und Urdu oder Norwegisch, Dänisch und Schwedisch.
Tatsächlich gibt es objektive Kriterien, die sogar in ISO-Standards festgeschrieben sind und für Dialekte eine wechselseitige Verständlichkeit fordern. Darüber berichtet die Autorin nicht, und das zieht sich durch weite Teile des Buchs: Die linguistischen Hintergründe kommen eher kurz und überlassen die Bühne den Beispielen und Geschichten. Wenn man die Lektüre als Rundreise beschreiben will, könnte man sagen, dass die Reiseleiterin ihre »Wunderwelt« so unterhaltsam und temporeich präsentiert, dass man danach nicht immer weiß, was man gerade gesehen hat.
Aber selbst wenn man gerne länger an einem Ort verweilen würde, folgt man ihr doch bereitwillig zur nächsten Lesenswürdigkeit. Sie führt leichtfüßig auch durch schwieriges Terrain wie Gendern, Fremdwörter und Umgangssprache. Manches ist weithin bekannt, etwa dass Deutsche vorzugsweise fäkal fluchen, während in vielen anderen europäischen Sprachen gerne genital geschimpft wird. Aber einiges dürfte auch überraschen. Wer weiß schon, dass nur rund ein Drittel der häufigsten englischen Wörter germanischen Ursprungs sind? Und warum gebraucht die japanische Medizin viele deutsche Wörter wie »kuranke« für Kranke und »gipusu« für Gips?
Die Tour führt auch zu den klassischen sprachwissenschaftlichen Kulturstätten wie Aussprache und Grammatik. Doch ebenso viel Aufmerksamkeit schenkt die Autorin, die in China und Taiwan Sinologie studiert hat, den unbekannteren Kuriositäten, zum Beispiel wie das Chinesische ohne ein Wort für »ja« auskommt (das Verb aus der Frage wird wiederholt) und warum so viele Menschen in Korea und Vietnam die gleichen Nachnamen tragen (ein Tribut an die Herrscher ihrer Zeit).
Sprachen unterscheiden sich darin, worauf man sich festlegen muss
Den großen Sprachen Asiens widmet sich die Autorin am ausführlichsten: ihren Zahlen- und Schriftsystemen, den Tonverläufen und Höflichkeitsformen. Wer sich damit noch nicht beschäftigt hat, bekommt eine leicht verständliche Einführung. Und gewinnt die Erkenntnis, dass sich Sprachen vor allem darin unterscheiden, worauf man sich festlegen muss und was offenbleibt. So kann das deutsche Pronomen »wir« das Gegenüber mitmeinen oder nicht, während man sich im philippinischen Tagalog für eine Variante entscheiden muss.
Die Lektüre fühlt sich an wie eine Kreuzfahrt, bei der man nie weiß, wo das Schiff am nächsten Tag anlegt. Das ist dem Abwechslungsreichtum zu verdanken, aber auch dem fehlenden Inhaltsverzeichnis geschuldet. Platz genug wäre gewesen: Die letzten zehn Buchseiten sind teils leer und teils mit Eigenwerbung des Verlags bedruckt. Eine Literaturliste gibt es zwar, aber nicht nach Kapiteln geordnet, was die Suche nach vertiefender Lektüre erschwert. Überhaupt dürften alle, die sich neben Sprachen auch für Sprachwissenschaft interessieren, ein bisschen enttäuscht sein, denn außer im Kapitel über Grammatik sind linguistische Grundbegriffe rar. Doch wer auf Vertiefung dieser Art gerne verzichtet, kann sich auf eine kurzweilige Rundreise freuen.
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