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Florale Finessen

Botanikerin Felicia Molenkamp überzeugt mit detailliertem Wissen über grüne Gewächse in ihren zahlreichen biologischen Aspekten.

»Es war und ist mein Anliegen, mit diesem Werk der Flora wieder den Stellenwert zu verschaffen, den sie verdient.« Mit spürbarer persönlicher Begeisterung vermittelt die Biologin und Pflanzenkundlerin Felicia Molenkamp grundlegendes Wissen zur Biologie, Evolution und den vielen Besonderheiten »grüner Gewächse«. Ausgehend von den fachlichen Grundlagen beschreibt sie das Leben der Pflanzen mit zahlreichen neuen Erkenntnissen zu deren Fähig- und Fertigkeiten, die bei Weitem noch nicht in allen Einzelheiten erforscht sind. »Pflanzen können riechen, schmecken, sehen, sich unterhalten und bewegen. Ihre chemischen und physikalischen Qualitäten sind den unsrigen mindestens ebenbürtig, oft wesensgleich, manchmal überlegen.« Als »Advocata plantae« kritisiert sie die vorherrschende anthropozentrische Sicht auf Pflanzen, Tiere und Umwelt und plädiert für ein Umdenken hin zu »mit der Natur leben, statt uns mehr und mehr von ihr zu entfremden«.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Molenkamp lädt ihre Leser(innen) ein, gemeinsam mit ihr, beginnend bei den Anfängen des Lebens, in die Welt der Pflanzen zu reisen. Methodisch gut gegliedert und mit starken Bildern und Metaphern aufbereitet, führt sie in einer »Biografie des Lebendigen« von der Urzelle LUCA zur »Bibliothek des Lebens«. Sie beschreibt die Bedingungen pflanzlicher Existenz am Land, im Wasser und in der Luft; sie erläutert komplexe Fachbegriffe wie Epigenetik und zeigt, inwiefern diese an der Embryonalentwicklung, Gedächtnisbildung und der Abwehr- und Selbstheilungsreaktion von Pflanzen mitwirkt. Und sie veranschaulicht das Prinzip von Symbiosen, die, zwischen Pflanzen und Pilzen als Mykorrhiza seit mindestens 390 Millionen Jahren etabliert, die Existenz aller Organismen nach dem Prinzip bestimmen: »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.«

Pflanzen sind potenziell unsterblich, denn neben geschlechtlicher Vermehrung können sie sich ungeschlechtlich teilen und damit immer wieder erneuern. Neben der Beschreibung grundlegender physiologischer Vorgänge und spezieller Entwicklungsmodalitäten von Pflanzen vergleicht die Autorin deren Merkmale und Fähigkeiten. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie der Kommunikation zwischen Pflanzen und ihrer Umwelt über chemische, physikalische und elektrische Signale. Damit zusammenhängende Anpassungs-, Vermehrungs- und Feindabwehrstrategien führen zu verblüffenden »Finessen«, die immer wieder aufs Neue überraschen.

Pflanzen erfassen mit unvorstellbar vielen Sensoren die Parameter ihrer ober- und unterirdischen Umgebung und sind dabei aktiv in der Lage, diese weitgehend in einem für sie optimalen Bereich zu halten. So können Wurzelhärchen mindestens 15 diverse Umweltreize wahrnehmen und verarbeiten. Mit Hilfe spezieller Proteine verfügen Pflanzen über Erinnerungsvermögen, können Freund und Feind unterscheiden und entsprechend reagieren. Sie besitzen zudem Glutamatrezeptoren, die ähnlich wie bei Tieren als Neurorezeptoren agieren; und in ihren Bauplänen verwirklichen sie mathematische Grundregeln, darstellbar etwa als Fibonacci-Zahlen. In der Bionik dienen Pflanzen auch der menschlichen Baukunst als Vorbilder. Mit ihren zahlreichen Außenfühlern stehen sie mit der Umwelt in stetigem Kontakt, nach Ansicht der Autorin verfügen sie dabei über die Fähigkeit der »Omniästhesie«, können also sehr viele Sinnesreize gleichzeitig wahrnehmen und verarbeiten: »Deshalb sind wir nicht im Stande, uns die Welt aus pflanzlicher Perspektive zu veranschaulichen […]; wir können die Emergenz ihrer Umweltwahrnehmung überhaupt nicht erfassen […]. Ihre sensationelle Sensibilität sollte uns verzaubern und unsere Achtung ihnen gegenüber potenzieren«.

Kritische Reflexionen zur wissenschaftlichen Methodik und den Erscheinungen moderner Industriegesellschaften ergänzen die fachbezogenen Ausführungen des Buchs; die Autorin zieht dabei Parallelen zwischen »pflanzlicher Vernunft« und der menschlichen Unvernunft des Gewinn- und Herrschaftsstrebens. Ein eigenes Kapitel über den »Auftritt des Homo sapiens« widmet sich den biologischen Unterschieden zwischen vielzelligen Pflanzen und Menschen – mit harscher Kritik an Anthropozentrismus, Schubladendenken, Bewertungswillkür und heutigen Lebensweisen.

»Pflanzengeflüster« überzeugt mit tiefgründig dargebotenem Wissen über grüne Gewächse in ihren zahlreichen biologischen Aspekten. Vor allem die Darstellung pflanzlicher Fähigkeiten und Raffinessen eröffnet Laien wie fachkundigen Pflanzenliebhabern neue Einsichten: Tabellarische Zusammenfassungen, Grafiken und ein umfangreiches Glossar erleichtern das Verständnis und vertiefen das Gebotene. Einige humorvoll flapsige Nebenbemerkungen – »Frau Gundelrebe trifft Herrn Gundermann« –, nicht immer nachvollziehbare Statements zu Gesellschaft und Wirtschaft sowie manche eingestreute Kritik (etwa an der Pharmaindustrie, »die uns stark von der Natur entfremdet«) sind überzeichnet und zu pauschal, insgesamt bietet das Buch aber eine sehr empfehlenswerte, interessante Lektüre für einschlägig Interessierte.

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