Gefahr für Kartoffel und Co.
Wieso kamen die Vorfahren von John F. Kennedy nach Amerika? Warum konnte Henry Ford den Kautschuk für seine Autoreifen nicht in eigener Plantagenwirtschaft gewinnen? Und wo liegen die Ursprünge der Hippie-Droge LSD?
An allem hatten Pflanzenkrankheiten einen entscheidenden Anteil: Die irischen Vorfahren des amerikanischen Präsidenten flohen im 19. Jahrhundert vor einer verheerenden Hungersnot. Auslöser war die Kartoffelfäule, die das Grundnahrungsmittel der Iren vernichtete, was eine Million Menschen das Leben kostete und weitere zwei Millionen zum Auswandern zwang. Henry Ford wiederum versuchte ab 1920, mit seiner Autoreifenproduktion unabhängig zu werden von britischen Kautschukhändlern, und ließ dazu riesige Plantagen in Brasilien anlegen, dem Ursprungsland des Kautschukbaums. Doch ein Pilz vernichtete die Pflanzen innerhalb weniger Jahre und macht den industriellen Kautschukanbau in Südamerika bis heute unmöglich. Das synthetische Halluzinogen LSD schließlich ist ein Abkömmling des Gifts, das der Pilz Claviceps purpurea, besser bekannt als Mutterkorn, im Roggen erzeugt. Womöglich diente die Substanz schon im Rahmen von altgriechischen Mysterienkulten dazu, eine "Erleuchtung" zu erfahren.
Gefahren von vielen Seiten
Bis heute haben Pflanzenkrankheiten weit reichende Auswirkungen. Thomas Miedaner, Professor für Pflanzenzüchtung an der Universität Hohenheim, gibt in seinem Werk spannende Einblicke, wie krankmachende Viren, Bakterien, Pilze und Insekten die Welt verändern. Dabei kombiniert er geschichtliche, wirtschaftliche und biologische Perspektiven und stellt immer wieder Bezüge zur Lebenswelt der Leser her.
Auch wenn Pflanzenkrankheiten in Industrienationen heute meist keine lebensbedrohlichen Konsequenzen mehr haben, bergen sie immer noch große Risiken. Manche Pflanzenseuchen vernichten Existenzen – besonders in ärmeren Regionen der Welt. Ein Beispiel ist der Kaffeerost (Hemileia vastatrix), der seit 2012 in Süd- und Mittelamerika wütet und Kleinbauern in den Ruin treibt. Besonders anfällig dafür ist der hochwertige Arabica-Kaffee. Sollte sich der Rost weltweit verbreiten, könnte diese Sorte bald ausgerottet werden. Ein ähnliches Schicksal könnte die Banane ereilen: Der Pilz Fusarium oxysporum f. sp. cubense, der die Panamakrankheit hervorruft, hat in den 1960er Jahren die damals beliebteste Bananensorte vollständig vernichtet. Mühsam stellten sich die Produzenten auf die heute dominierende Sorte um. Doch nun befällt der Pilz auch diese, und es gibt keinen Ersatz mehr. Miedaner beleuchtet nicht nur die biologischen Ursachen und Folgen solcher Probleme, sondern auch soziale und wirtschaftliche Aspekte, die sich verschärfend auswirken.
Darüber hinaus diskutiert der Autor verschiedene Lösungsansätze. Unter anderem geht er darauf ein, wann ökologischer Landbau Seuchen verhindert und in welchen Fällen man auf den Einsatz von Pestiziden kaum verzichten kann. Anhand verschiedener Beispiele weist er mehrfach darauf hin, wie wichtig eine große Artenvielfalt ist – und dass sowohl überliefertes Wissen zu Anbaumethoden als auch wiederentdeckte alte Sorten so manche Pflanze retten konnten.
Rettender Eingriff ins Genom?
Am meisten verspricht sich Miedaner von der Gentechnik. Seit jeher, argumentiert er, finde ein Wettrüsten zwischen Pflanzen und Krankheitserregern statt. Infolge der Globalisierung und weltweiter Warenströme hätten die Schädlinge einen großen Vorteil gewonnen: Sie könnten sich per Flugzeug innerhalb kürzester Zeit weltweit verbreiten und Resistenzen deutlich schneller überwinden als früher. Die konventionelle Züchtung brauche jedoch in der Regel Jahrzehnte, um neue widerstandsfähige Sorten zu entwickeln. Angesichts dieser sich verschärfenden Misere könnten wir, so der Autor, auf die Gentechnik nicht verzichten. In einem eigenen Kapitel erklärt er deren Grundlagen und zeigt auf, dass selbst ein Gentransfer über Artgrenzen hinweg keineswegs unnatürlich ist. Nachdem man über die teils schlimmen Auswirkungen von Pflanzenkrankheiten gelesen hat, gewinnt man den Eindruck, dass Eingriffe ins Genom unsere einzige Chance sein könnte, Kulturpflanzen wie Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln und Zitrusfrüchte auch in Zukunft anbaufähig zu erhalten.
Das Werk ist gut verständlich und inspiriert dazu, sich näher mit der Thematik auseinanderzusetzen. Die Kapitel stehen jeweils für sich und lassen sich in beliebiger Reihenfolge lesen, da Miedaner die relevanten Grundlagen – etwa zu Pflanzenzüchtung und -schutz, zur Koevolution von Wirt und Schädling und zu verschiedenen Resistenzmechanismen – für jede Pflanzenkrankheit separat erklärt. Infoboxen, Grafiken und Farbfotos von befallenen Gewächsen veranschaulichen die Inhalte. Wie bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen beginnt jedes Kapitel mit einer Zusammenfassung und endet mit einem Literaturverzeichnis. Die angegeben Quellen, darunter viele journalistische Artikel, sind für die weiterführende Lektüre durchaus lesenswert. Dabei fällt allerdings auf, dass Miedaner einige Passagen daraus wörtlich in seinen Text eingebaut hat, ohne dies kenntlich zu machen. Ein unerfreulicher Wermutstropfen dieses an sich sehr gelungenen Werks.
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