Dröger Phosphor
Es müsse unbedingt Knabenurin sein. So schrieb es einst Hennig Brand im 17. Jahrhundert, als er entdeckte, wie aus dem Strahl von Buben – voll mit Stoffwechselprodukten – Phosphor zu gewinnen ist. Vielleicht lag es auch nur daran, dass im Haus des Erfinders zahlreiche Stiefsöhne lebten. Denn er brauchte einiges von dieser Flüssigkeit, die er erst faulen ließ, wonach er das Gebräu einkochte, bis ein krümeliger schwarzer Stoff übrig blieb. Leibniz, der das auch einmal testen wollte, sammelte dafür fünf Wochen lang den Urin einer ganzen Hofgarde ein. Das Ziel dieser Urinküche war zuerst eine Attraktion, denn es leuchtete geheimnisvoll im Dunkeln. Doch Phosphor ist viel mehr als das, er ist sogar lebenswichtig: Er bringt Pflanzen zum Wachsen und ist Teil unserer DNA.
Teuflischer Phosphor
Um dieses Element zu würdigen, schreiben die Herausgeber Stefan Emeis und Kerstin Schlögl-Flierl sowie 18 weitere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen über verschiedene Aspekte des Stoffs. Die Berichte handeln von der Geschichte der Entdeckung, der Dialektik des Phosphors, von Gemälden über Alchemisten, der Rolle des Elements in der Landwirtschaft oder in Lithium-Ionen-Batterien. Auch die gefährliche Seite des Materials in Nervengiften und Insektiziden stellen die Autoren ausführlich vor. Ein ganzer Teilabschnitt des Buchs beschäftigt sich mit der Rohstofflage, der Gewinnung aus Gestein, aus Klärschlamm und mit einem nachhaltigeren Umgang, denn die wertvolle Ressource ist endlich. Liest man das Autorenregister durch, findet man eine bunte Mischung aus Theologen, Meteorologen, Umweltingenieuren, Geografen, Biologen, Germanisten und Chemikern. Das lässt auf vielseitige und neuartige Ansichten hoffen.
Und so werden im ersten Kapitel »Die Doppelgesichtigkeit des Phosphors aus theologischer Sicht« Textstellen der Bibel zitiert. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet Phosphor Lichtbringer – wie Luzifer in Latein. Mit diesem Kniff breitet die Autorin die Geschichte dieser biblischen Gestalt aus. Denn sie findet den lateinischen Namen passender für den Stoff als den griechischen. Zudem gebe es eine Verbindung zwischen dem Element und der biblischen Gestalt, die sich zum »Todesbringer« wandelt. Denn auch Phosphor habe eine ambivalente Seite. Einerseits werden daraus Brandbomben hergestellt, andererseits ist er lebenswichtig für Pflanzen. Diese Eigenschaft erscheint aber sehr konstruiert, um über ihr Fach zu berichten. Schließlich trifft ein solches ambivalentes Verhalten auf viele andere Stoffe oder Phänomene wie Kohle, Wasser oder Feuer zu. So ist auch der Titel irreführend: »Fluch und Segen eines Elements«. Es ist nicht das Element oder der Teufel, sondern der Mensch, der daraus Gutes oder Böses schafft.
Ein Autor stellt die verschiedenen Modifikationen von Phosphor vor, wobei man sich durch eine Aneinanderreihung von Strukturelementen, Käfigen und Einheiten, die über polymere Stränge verbunden sind, kämpfen muss. Ein anderer schildert im Detail die verschlungenen Abläufe in einer Kläranlage, um Phosphor zu entfernen. Im Schlusskapitel werden »Mögliche Wege der Phosphor-Governance« geschildert, in der Textpassagen aus Düngemittelverordnungen, Abkommen und Bodenschutzgesetzen dominieren.
Die Geschichte der Herstellung wiederholt sich ähnlich dargestellt gleich in zwei Kapiteln und taucht zudem in den folgenden Abschnitten immer wieder auf. Ebenso ermüdend sind die Wiederholungen bezüglich seiner ambivalenten Seite in verschiedenen Kapiteln. Auch andere Aspekte wie ein kritisches Rohstoffvorkommen stellen die Autoren immer wieder vor. Beim Lesen stellt sich fast der Eindruck ein, als hätten man die Beiträge nicht aufeinander abgestimmt. Zwar mag ständiges Wiederholen dazu führen, dass der Inhalt im Gedächtnis bleibt; weil der Schreibstil jedoch zu oft an behördlichen Richtlinien oder an wissenschaftliche Fachsprache erinnert, erzeugt das nicht richtige Lesefreude. Das führt zu einem eher drögen Lesen. Doch wer sich durchbeißt, erfährt vieles über die Geschichte, Eigenschaften, Anwendungen dieses wichtigen Rohstoffs.
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