Gefahr aus dem Stall
Rupert Ebner und Eva Rosenkranz nehmen die Corona-Pandemie zum Anlass, um auf eine noch größere Gefahr aufmerksam zu machen: antibiotikaresistente Krankheitserreger. Ebner ist von Beruf Tierarzt und war mehrere Jahre als Stadtrat für Gesundheit, Klimaschutz und Umwelt tätig. Er sieht vor allem das System der Massentierhaltung mit seinem tonnenschweren Antibiotikaverbrauch in der Verantwortung. Rosenkranz ist Literaturwissenschaftlerin und hat bereits mehrere Werke veröffentlicht, unter anderem zu Insektensterben und Biodiversität.
Bakterien unter Selektionsdruck
Den Autoren zufolge sind vor allem die Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und die Dichte der Tierhaltung dafür verantwortlich, dass Antibiotika vom Medikament gegen Infektionskrankheiten zu so genannten Leistungs- und Wachstumsförderern wurden. Wenn Jungtiere aus vielen verschiedenen Zuchtbetrieben in einem Mastbetrieb zusammenkommen, sind Krankheiten vorprogrammiert. Um zu vermeiden, dass der gesamte Bestand erkrankt und kostbares Gewicht verliert, behandelt man alle Tiere vorbeugend. Die industrialisierte Landwirtschaft könne nur überleben, wenn sie viele Produkte in kurzer Zeit erzeugt, so die Autoren.
Je mehr Antibiotika angewendet werden, desto höher wird der Selektionsdruck auf die Bakterien – und umso schneller passen sie sich an: Sie werden resistent. Solche multiresistenten Keime finden sich nicht nur in tierischen Produkten wie Fleisch und Wurstwaren. Sie verteilen sich auch über Gülle und Abluftanlagen überall in der Umwelt. Dort beeinflussen sie Mikroorganismen und Kleinstlebewesen und damit die Zusammensetzung ganzer Ökosysteme.
So genannte Reserve-Antibiotika sollten nur eingesetzt werden, wenn andere Wirkstoffe nicht mehr helfen. In der Geflügel- und Schweinemast verwende man sie allerdings großzügig, so die Autoren. Auch in humanmedizinischen Praxen sei inzwischen jede zweite Verordnung ein Reserve-Antibiotikum. Zum Beispiel sind schon heute Tuberkuloseerreger zu 50 Prozent gegen die üblichen Wirkstoffe resistent. Wenn man eines Tages selbst einfache Wundinfektionen nach einer Operation nicht mehr zuverlässig behandeln könne, dann sei unser gesamtes Gesundheitssystem in ernsthafter Gefahr, befürchten die Autoren.
Dass Fleischproduktion auch mit weniger Antibiotika funktioniert, zeigen Länder wie Dänemark und Schweden, so Ebner und Rosenkranz. Allerdings müsse man dafür die Haltungsbedingungen und Zuchtziele verändern, was mit höheren Fleischpreisen einhergehe. Wenn die Verbraucher deshalb weniger Fleisch essen würden, hätte das mehrere positive Folgen: Die Tierbestände wären kleiner, man bräuchte weniger Anbauflächen für Tierfutter und weniger Dünger und Pestizide. Man könnte mehr Heckenstreifen und Feuchtgebiete anlegen. Dadurch würde die Artenvielfalt steigen und der Klimawandel verlangsamt. Die Autoren legen überzeugend dar, wie der Erhalt intakter Ökosysteme mit typischer Biodiversität das Auftreten infektiöser Krankheiten generell reduzieren könnte.
Ebner und Rosenkranz erläutern in ihrem Buch ausführlich, wie Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie, Handel und Agrarpolitik miteinander verflochten sind. Gerne rechtfertigen diese das bestehende System mit dem Argument, der Verbraucher wolle jeden Tag billiges Fleisch essen. Dass Wohlstand und Wohlbefinden an den täglichen Genuss von Fleisch gebunden seien, wird von den Autoren zu Recht als Mythos aus den Nachkriegsjahren entlarvt.
Obwohl die großen Zusammenhänge bekannt und hinreichend analysiert sind, haben europäische Beschlüsse und Gesetze bisher noch nichts verändert, bemängeln die Autoren. Dabei gäbe es zahlreiche Lösungsansätze: Bestandsobergrenzen, Zucht von Zweinutzungsrassen, eine Tierwohlabgabe oder rücksichtsvolle Ernährungsformen.
Das Buch lässt sich gut lesen und gibt tiefe Einblicke in die industrielle Fleischproduktion. Von der Gesundheitsgefahr durch Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung schlägt das Buch den Bogen zum »One Health«-Ansatz: Wir können unseren Planeten nur bewahren, wenn wir uns um die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zugleich kümmern. Dabei könne jeder damit anfangen, indem er weniger Fleisch konsumiere. Die Autoren appellieren daran, Essen müsse wieder etwas wert sein – nicht nur finanziell, sondern auch als Gemeinschaftserlebnis und kulturelle Errungenschaft.
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