Für ein bewohnbares Raumschiff Erde
Angesichts unübersehbarer Umweltkatastrophen gebärden sich selbst Banker neuerdings, als seien sie alle bei »Fridays for Future« in die Schule gegangen. Politiker überschlagen sich in Versprechungen einer umweltgerechten und nachhaltigen Zukunft. Das ist zunächst ein Fortschritt, doch inwieweit den großen Worten entsprechende Taten folgen, muss die Zukunft zeigen.
Das große Ganze im Blick
Während die Naturforschung unentwegt stärkere Belege für den menschengemachten Klimawandel vorlegt und mit immer verlässlicheren Szenarien vor einem Weitermachen wie bisher warnt, stimmen auch Kulturwissenschaftler in den vielstimmigen Chor ein. An der Justus-Liebig-Universität Gießen hat sich ein »Panel for Planetary Thinking« konstituiert, das auf das große Ganze der aktuellen Umweltprobleme abzielt. In einem interdisziplinären Ansatz wollen Fachleute aus der Soziologie und Politologie die naturwissenschaftlichen Befunde in einen kulturellen Rahmen stellen, der unseren Lebensraum so in den Blick nehmen soll, wie er sich den ersten Raumfahrern präsentierte: als den seltenen Fall eines bewohnbaren Planeten. Mit dem vorliegenden Buch legt die Gießener Gruppe, welcher der prominente Politologe Claus Leggewie angehört, ihre Arbeitsergebnisse vor.
Nachdem der erste Abschnitt »Overview« eine kurze Vorgeschichte planetaren Denkens von Mythos und Magie bis zu politischer Philosophie präsentiert, versucht das Kapitel »Engführung« eine umständliche »Begriffsbestimmung der Planet-Mensch-Beziehungen«. Allerdings handelt es sich eher um eine mit Soziologensprache aufgeladene Anekdotensammlung, in der Wasserstoffbomben, Wirbelstürme sowie die »Biosphere«-Experimente – vergebliche Versuche, künstliche Biotope dauerhaft bewohnbar zu machen – unsere prekäre Existenz auf dem Heimatplaneten illustrieren sollen.
Das Kapitel »Durchführung« widmet sich der Frage, was angesichts der skizzierten Probleme zu tun sei, und will eine »planetare Politik« entwerfen. Zunächst wird der konservative Pessimist Panajotis Kondylis (1943–1998) vorgestellt, der angesichts globaler Probleme den Niedergang demokratischer Systeme postulierte. Als Gegentyp dient der Soziologe Nikolaus Sombart (1923–2008); er sah die Lösung in planetarer Planung mit den Methoden der Kybernetik.
In diese Spannweite zwischen Apokalyptik und Utopie ordnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Panels dann die aktuellen Ansätze der Umweltpolitik ein. Sie selbst plädieren optimistisch für eine »planetare Umweltverfassung, die nichtmenschliche Akteure als Wirkmächtige und Mitwirkende einbezieht«.
Im Schlusskapitel »Down to Earth« geht es anlässlich der Corona-Pandemie um den Aspekt der »planetaren Gesundheit«. In diesem Zusammenhang stellen die Autoren den Kulturwissenschaften die Aufgabe, die ganzheitliche Perspektive interdisziplinär zu vermitteln und insbesondere in die Bildungssysteme einzuspeisen.
Kann das vorliegende Buch als erster Schritt in diese Richtung gelten? Positiv ist anzumerken, dass die Autoren sich sichtlich Mühe geben, akademischen Begriffsschwulst zu meiden, und dass sie dabei zumindest Teilerfolge erzielen. Dennoch werden naturwissenschaftliche Fakten meist nur angeführt, um sie mit Gewalt in einen Zusammenhang mit ausführlich herbeizitierten kulturellen Meinungen zu bringen.
Ganz unbehandelt bleibt die entscheidende Frage, wie die enormen Hindernisse, die der Utopie einer planetaren Politik entgegenstehen, konkret anzugehen wären. Da sollten Fachleute für Politik und Gesellschaft schon mehr Farbe bekennen.
Apropos Farbe. Das Buch ist reich bebildert mit Fließdiagrammen, Schemazeichnungen und Fotos. An sich wäre es eine ausgezeichnete Idee, so etwas wie ein planetares Bilderbuch zu kreieren – fiele die Ausführung nicht so miserabel aus. Die meisten Reproduktionen sind so klein geraten, dass die Details und Beschriftungen der Diagramme nicht einmal mit der Lupe zu entziffern sind. Und selbst der mühsame Ausweg, anhand der Bildnachweise eine leserliche Vorlage im Internet zu suchen, führt nicht immer zum Ziel.
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