Der Doppelkonflikt
In den Wäldern Nordamerikas, nahe des heutigen Pittsburg, rieben Franzosen und Indianer im Jahr 1755 britische Kampfverbände auf. Ein Jahr später marschierten die Preußen unter Friedrich II. in Sachsen ein. Beide Ereignisse markierten den Anfang eines globalen Konflikts im 18. Jahrhundert, den der britische Premier Winston Churchill den (wahren) "ersten Weltkrieg" nannte.
In diesem so genannten Siebenjährigen Krieg (1756–1763) kämpften Preußen und Großbritannien auf der einen Seite; Österreich, Frankreich und Russland auf der anderen. Somit waren alle europäischen Großmächte jener Zeit involviert. Genau genommen handelte es sich um zwei höchst verschiedene Konflikte: einer zwischen Frankreich und Großbritannien, ausgefochten auf einer globalen Arena von Kalkutta bis Quebec; der andere zwischen Preußen, Österreich und Russland, ausgetragen auf dem regionalen Schauplatz Mitteleuropas.
Im Europa verbünden, in Übersee triumphieren
Ausgehend von den europäischen Kräfteverhältnissen zu Beginn des 18. Jahrhunderts stellt der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm die verschiedenen Kriegsparteien vor und erläutert ihre jeweiligen Interessen. Hauptsächlich widmet er sich dem Preußen Friedrichs II., dem Habsburgerreich Maria Theresias sowie den Kolonialmächten Frankreich und England. Demzufolge strebte Friedrich II. danach, das territorial zersplitterte Preußen durch Eroberung zu arrondieren und sein Königreich als europäische Großmacht zu etablieren. Englands vordringlichstes Ziel lautete hingegen, Frankreichs Kräfte mithilfe der verbündeten Preußen in Europa zu binden, um als Kolonialmacht in Übersee zu triumphieren – eine globale Strategie, die Englands Premier William Pitt (1708-1778) in die Worte kleidete, man müsse "Kanada an den Ufern der Elbe erobern".
Kenntnisreich und gut verständlich geht der Autor auf wichtige Kriegsereignisse ein. Detailreich, aber ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren, schildert er die bedeutsamsten Schlachten und erläutert die auf den verschiedenen Schauplätzen angewandten Strategien. Das reicht von der asymmetrischen Kriegsführung in Nordamerika und Indien bis zur offenen Feldschlacht (Lineartaktik) in Europa, bei der Feuerkraft, Personalstärke und Drill über den Sieg entschieden.
Neben den militärischen Geschehnissen und den dahinter stehenden Interessenkonflikten widmet sich der Autor auch der "Kultur des Kriegs". Er zeigt anhand von Goethes "Dichtung und Wahrheit", wie dieser Waffengang nicht nur Nationen, sondern auch Familien spaltete; er liefert mithilfe von Augenzeugenberichten die Innenansicht des Krieges; er beleuchtet am Beispiel von Voltaires Roman "Candide" (1759) die zeitgenössische Kriegswahrnehmung und richtet seinen Blick auf die historische Erinnerungskultur, wie sie in Lessings Lustspiel "Minna von Barnhelm" (1767) Eingang fand.
Weltweite Kräfteverschiebung
Bremm weiß Quellen und Literatur souverän miteinander zu verknüpfen. Heraus kommt eine faktenreiche und gut lesbare Gesamtdarstellung jenes globalen Kräftemessens, das die Machtverhältnisse in Europa und Übersee grundlegend veränderte. Wie Bremm anhand der Friedensschlüsse von Hubertusburg und Paris (1763) verdeutlicht, hatte Preußen sich am Ende als fünfte Großmacht etabliert. Frankreich dagegen büßte seine vorherrschende Stellung in Kontinentaleuropa ein und verlor große Teile seiner amerikanischen und indischen Kolonialgebiete an Großbritannien, das dadurch zur dominierenden Weltmacht aufstieg.
Der Autor beweist historische Weitsicht, indem er über den Tellerrand blickt und auch die weitreichenden Folgen dieses "doppelten Kriegs" thematisiert. Zu ihnen gehörte, dass die 13 Staaten Neuenglands im "French and Indian War" zu einem neuen Selbstbewusstsein fanden, welches in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 seinen beredten Ausdruck fand. Zu ihnen gehörte ferner, dass "vom Pariser Verzichtsfrieden von 1763 ein direkter Weg zum Sturm auf die Bastille 1789 führte". Und schließlich entstand mit dem Erfolg Friedrich II. der neue Dualismus beider deutscher Mächte, Preußen und Österreich, der mit Preußens Sieg bei Königgrätz 1866 endete und den Boden für das Wilhelminische Kaiserreich ebnete.
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